Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
Vom Netzwerk:
sah orangegelbe Kometen durch ein schmutzig graues All ziehen. Lichtschweif folgte auf Lichtschweif. Mein gesamter Körper vibrierte bei der Fahrt über den holperigen Untergrund – kratang, kratang, kratang! Bei jeder Unebenheit, über die der fahrbare Untersatz ratterte, wurde ich durchgeschüttelt. Über mich zogen verwaschene Lichter hinweg, die ich als trüb und grell zugleich empfand. Die Konturen verschwammen, überlappten sich, verblassten. Ich blinzelte (es war wohl mehr ein spasmisches Zucken der Augenlider) und versuchte mit meinen Blicken den vorüberschwebenden Lichtern zu folgen. Es waren Deckenlampen.
    Stimmen drangen an meine Ohren, undeutlich zuerst, dann immer klarer; die Stimmen eines Mannes und einer Frau. Die Frau (hinter mir) lachte ab und zu verhalten, während der Mann (zu meiner Linken) mit theatralischer Stimme redete. Ich hörte die Schritte der beiden und das Rattern der Gummiräder über den Boden. Die Frau gab sich keine sonderliche Mühe, mich behutsam über den Flur zu schieben. Was ich von ihm sah, wirkte befremdlich. Rohrleitungen führten unter der Decke entlang, die Wände waren grau und kahl, der ganze Gang düster bis schmutzig, wie der Keller eines großen Gebäudes.
    Ein Krankenhaus? Eine Universität? Bei dem bebenden Etwas, auf dem ich ruhte, konnte es sich um eine Krankenliege handeln. Aber die Korridordecke wirkte nicht wie die eines Krankenhauses. Zumindest nicht wie eine der Decken in den oberen Etagen, wo die Patienten untergebracht waren …
    Ich schaltete von Sehen auf Hören um. Der Mann, der ein Stück weiter vorausging und die Lichter anknipste, erzählte auf arabisch eine unheimliche Geschichte aus der Pathologie. Es war eine der üblichen Scheintoten-Storys, die Pathologie-Assistenten zum Besten geben, um Praktikantinnen Angst einzujagen. Die Frau schien das Garn ihres Kollegen allerdings nicht sonderlich ernst zu nehmen. Ihr sporadisches Lachen ließ ihre Brüste unter der weißen Bluse auf und ab wippen. Sie sah zufällig auf mich herab, ein leises, amüsiertes Lächeln auf den Lippen, das in diesem Moment gefror. Ich erwiderte ihren Blick, lächelte ebenfalls (zumindest bildete ich mir ein, zu lächeln). Die Frau blinzelte ungläubig, schrie auf, zuckte zurück und war aus meinem Sichtfeld verschwunden. Die Liege mit mir rollte von allein weiter, schrammte an der Korridorwand entlang und stieß unsanft mit einem Geschirrwagen zusammen, dessen Ladung laut scheppernd zu Boden ging. Der Pfleger tauchte über mir auf, sah mich erschrocken an und schob mich sinnloserweise wieder ein Stück zurück. Er glotzte dabei, als seien mir soeben ein Rüssel und ein bunter Propeller aus dem Kopf gewachsen. Als er endlich begriff, dass ich ihn bewusst anstarrte, wechselte er mit der für mich unsichtbaren Schwester im Hintergrund ein paar hektische Worte, dann hörte ich die Frau davonrennen.
    Der Pfleger blieb bei mir zurück. Er fummelte eine bleistiftdünne Leuchte aus seiner Jacke, beugte sich über mich und strahlte mir damit abwechselnd ins linke und ins rechte Auge. Das Licht schmerzte, und ich gab einen ersten unwilligen Laut von mir. Es hatte »Hören Sie damit auf!« heißen sollen, doch es klang wie das müde Blöken eines Schafes.
     
    Etwas später und einige Etagen höher. Ich befand mich tatsächlich in einem Krankenhaus, wenn nun auch in ansprechenderer Umgebung. Ärzte und Schwestern besaßen arabische Gesichtszüge und unterhielten sich in vertraut ägyptischem Dialekt. Überall brannte Licht. Es musste mitten in der Nacht sein. Der Pfleger aus dem Keller legte mir Infusionen, die offensichtlich erst vor kurzem entfernt worden waren. Dabei murmelte er in seiner Heimatsprache vor sich hin, welches Glück ich gehabt habe und wie gering die Chancen seien, nach einem so schweren Unfall wie dem meinen wieder aufzuwachen – in Anbetracht eines zweimonatigen Folgekomas und dem Eintreten des Gehirntods vierzig Minuten vor meinem Wiedererwachen –, um dann aller Logik zum Trotz tatsächlich noch einen Funken von Vernunft in den Augen erkennen zu lassen.
    Ein neuer Tropf stand am Kopfende des Bettes, in dem ich lag. Mein Körper war so kraftlos, dass ich kaum eine Hand heben konnte. Selbst die Augenlider fühlten sich an wie zwei Bleiklappen. Ich zweifelte daran, tatsächlich in der realen Welt erwacht zu sein. Einen der beiden anwesenden Ärzte fragte ich nach Schwester 26. Er zog nur die Stirn kraus, schüttelte den Kopf und legte mir eine Hand auf die Brust, fast

Weitere Kostenlose Bücher