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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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hindurch, als gehöre es einem Geist. Die beiden geflügelten Serafen zischten drohend, verharrten jedoch an Thots Seite. Thot selbst gab sich angesichts meiner Dreistigkeit, ihn zu berühren, gelassen, ja fast schon belustigt.
    »Das ist nicht deine wahre Gestalt«, erkannte ich. »Nur eine weitere Scharade, eine Projektion, um meiner Erwartung zu genügen!«
    »Der Glaube der Menschen begehrt viele Gestalten, Hippolyt. Doch zugegeben, die Masken bereiten mir hin und wieder Vergnügen.«
    »Wer bist du wirklich? Was bist du?«
    »Das weißt du doch. Ich bin die Ewigkeit. Die Millionen und Abermillionen, die auf die Welt kommen, sie landen schließlich bei mir.«
    »Hältst du dich wahrhaftig für Gott?«
    Für Sekunden schien der Boden unter mir zu beben. »Nein, Hippolyt«, raunte das Wesen. »Ich bin die Abwesenheit Gottes! Jene, die noch im Mutterleib wachsen, deren Gesichter sind schon auf mich gerichtet. Alle auf Erden Lebenden, die sich mir opfern, empfange ich in meinem Garten. Jeden, der für einen, der nicht mehr handeln kann, handelt, belohne ich. Wer mir dient, dem werde ich Gnade erweisen, denn ich herrsche über euch, ihr Kronen der Schöpfung!« Das Geschöpf verbeugte sich in spöttischer Ehrerbietung, ohne mich aus den Augen zu lassen.
    »Warum hast du dich in der Stadt hinter einer Maske versteckt?« Ich lief ein paar Schritte von Thot fort. »Warum versteckst du dich jetzt in der Finsternis?«, rief ich empor in die Schwärze. »Weshalb schickst du mir ein Trugbild? Wovor hast du Angst?«
    Thots Erscheinung sah mich eine Weile mit reptilienhafter Ausdruckslosigkeit an, dann zuckte ihr Arm vor, und das Hexonnox kam auf mich zugeflogen. Es war so kalt, dass meine Finger sekundenlang an ihm kleben blieben, als ich es auffing. Gefrorene Hautfetzen blieben auf seiner Oberfläche zurück. »Vielleicht hast du Recht, Hippolyt«, tönte es aus dem Schlangenmaul. »Vielleicht ist es nötig, es dich erfahren zu lassen, damit du es begreifst.«
    Seine Konturen glitten in die Finsternis, verschmolzen mit ihr und hinterließen nur die beiden schwebenden Serafen, die mich aufmerksam beobachteten.
     
    Dunkelheit umgab mich, Unendlichkeit ohne Konturen und Sterne. Ein dumpfes, entferntes Stampfen, das keinen Ursprung zu besitzen schien, begann langsam die Schwärze zu erfüllen. Zu dem Stampfen gesellte sich alsbald das Hämmern meines Herzens, denn ich hatte gebannt die Luft angehalten. Ein Geräusch wie das Knallen einer Peitsche ertönte, dann flammte Licht auf.
    Mit einem überraschten Aufschrei riss ich die Hände empor und hielt sie mir vor die geblendeten Augen. Schmerz explodierte für Sekunden in meinem Kopf, ebbte nur widerwillig ab, bis ich tränenverschleiert meine Umgebung wieder wahrnahm.
    Vor mir erhob sich eine alles überragende Konstruktion aus massivem Metall und Schaltkreisen, ein babylonischer Maschinenturm inmitten eines Kokons aus Kabeln und Schläuchen, dessen Spitze mehr als einhundert Meter über mir in Dunst und Finsternis verschwand. In einigen Dutzend Metern Höhe befand sich eine längliche, senkrechte Einbuchtung, die von einer monströsen Kreatur ausgefüllt wurde. Auf den ersten Blick schien sie nur mittels Schläuchen an die Maschine fixiert zu sein. Dann erkannte ich, dass sie in einer anatomisch angepassten Aussparung saß wie auf einem Thron.
    Ich hatte das Wesen, das auf mich nieder blickte, schon einmal gesehen – in meiner Peyote-Vision, hinter einer großen Scheibe, eingehüllt in ockerfarbenen Nebel …
    »Bist du nun zufrieden, Hippolyt?« Die Kreatur beugte sich ein Stück vor. »Was du siehst, hat kein Geschöpf Sararas je zuvor erschaut. Aber du wirst mit diesem Wissen weder in die Geschichte eingehen, noch wirst du Geschichte schreiben.« Thot betätigte einen Mechanismus, der die Verbindungen zu der riesigen Maschine kappte. Die Kabel und Schläuche zogen sich in den Turm zurück wie fette, fliehende Tentakel.
    »Du irrst dich«, rief ich zögernd, ohne meinen Blick von der monströsen Kreatur abzuwenden. »Und es ist bekanntlich nicht das erste Mal.«
    Das Geschöpf – halb Maschine, halb Lebewesen – löste sich aus seinem Sitz, neigte sich vornüber wie eine dreißig Meter lange Raupe und kletterte langsam zu Boden.
    »Glaubst du schon wieder?« Thot lachte, ein Geräusch, das meine Würde vor ihm in den Staub warf. »Die Stärke deines Irrtums liegt darin, dass er ebenso klar ist wie die Wahrheit. Das Falsche ist ebenso einleuchtend wie das Richtige. Das

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