Mozart - Sein Leben und Schaffen
enger umschrieben ist, als man lange Zeit annahm, indem wir immer mehr empfinden, daß es vor allen Dingen die Persönlichkeitswelt Wagners war, die diesen Ausdruck gebot.
Mozart steht hier gewissermaßen auf der Grenze der Zeit. Wir brauchen uns nur den Namen Beethoven ins Gedächtnis zu rufen, um das zu fühlen, denn in Beethoven empfinden wir mit Recht den Musiker, der sich für sein persönliches Erleben die Kunstform schafft, während wir bei Mozart noch den Fall haben, daß er die Formen als solche übernimmt. Allerdings auch bereits nicht mehr um der betreffenden Formen willen, sondern weil sie ihm geeignet sind, ein bestimmtes Empfinden und Wollen auszudrücken. Die Subjektivität, die Persönlichkeit Mozarts offenbart sich gerade im Nebeneinander verschiedenster Stile , bzw. in deren höchster Vereinigung, und endlich darin, daß ihm diese Stile alle Mittel zum Zweck, also Ausdrucksmittel eines Seelischen sind. Die Tatsache, daß für jeden schöpferischen Gedanken eine Ausdrucksform die idealste sein muß, erheischt im Ideal in jedem Einzelfall die Schöpfung einer neuen Form. In der Einschränkung, die eine solche theoretische Forderung dadurch erhält, daß auch der am weitesten aus der Masse hervorragende Künstler doch mit einem großen Teil seines ganzen Seins noch in dieser Masse steht, haben wir diesenFall bei Beethoven, der überkommene Stilformen, also die dem Massenempfinden entsprechende Ausdrucksweise ruhig übernimmt, sie aber nach seinen persönlichen Bedürfnissen um- und abwandelt, erweitert, dehnt oder auch sprengt und völlig Neues einschiebt.
Dieses Titanische und Prometheische, das in Beethoven von allen großen Künstlern am stärksten war, fehlte bei Mozart. Wir wollen bedenken, daß wir es in der deutschen Dichtung auch erst bei Goethe finden. Die Grenzscheide der Zeit geht hier vorüber. In der Musik können wir sie zwischen Mozart und Beethoven hindurchführen. Wir müssen sagen, daß Mozarts Empfinden nicht in der Art von dem seiner Zeitgenossen verschieden war, sondern nur in der Stärke . Seine Kunst zeigt nicht den Gegensatz des Einzelmenschen zur Welt, wie etwa die Beethovens. Mozart empfindet tiefer, reicher, stärker, mannigfaltiger als die Welt, in der er steht, aber sein Empfinden wurzelt im gleichen Erdreich. Daher reichen für ihn auch die vorhandenen Stilformen aus. Was ihn vor allen anderen auszeichnet und ihm eine Sonderstellung einräumt, ist die Tatsache, daß er alle vorhandenen Stile beherrscht. Was ihn von der Vergangenheit scheidet, ist, daß für ihn der Stil bereits Inhaltsausdruck ist. Selbst der Riese Joh. Seb. Bach hat – natürlich nur äußerlich betrachtet – für ganz verschiedene Empfindungswelten, für einen Tanz wie für eine Kirchenkantate dieselben Stilformen gebraucht. Genau so etwa, wie der Künstler im Zeitalter der Gotik den Spitzbogenstil für einen Dom wie für ein Gartenhäuschen oder für einen Stuhl anwandte. Mozart aber hat jenes moderne Stilgefühl, daß jeder Stil bereits einen Ausdruckscharakter in sich trägt und darum für bestimmte Ausdruckszwecke besonders geeignet sei.
Er hat nun diese verschiedenen Stile, die sich, wenn wir vom Kirchenstil absehen, den er ja aus der konservativsten Hand, der Padre Martinis, empfangen hat, als Nationalstile herausgebildet hatten, in so früher Zeit in sich aufgenommen, daß sie ihm alle zu natürlicher Geläufigkeit kamen. Denken wir an die Art, wie Kinder in fremde Sprachen hineinwachsen, wenn die Eltern längere Zeit imfremden Lande bleiben, wie sie aber dennoch unter günstigen Verhältnissen ihrer heimischen Sprache und ihres heimischen Sprachgefühls nicht verlustig gehen. Sie vermögen nicht nur – um einen geläufigen Ausdruck zu brauchen – wie Erwachsene in verschiedenen Sprachen zu denken, sondern auch in verschiedenen Sprachen zu fühlen. In dieser Weise beherrschte Mozart außer dem alten kontrapunktisch polyphonen Stil in vollkommener Weise die verschiedenen Stilarten der neueren Zeit: er hatte das volle Empfinden für den Stil der italienischen Oper, für die davon grundverschiedene Art der französischen Deklamationsoper und endlich auch den aus dem Liede heraus geborenen Stil des deutschen Singspiels. Er hat auch, um das gleich hier vorweg zu nehmen, Glucks Opernstil in genau dieser Art sich zu eigen gemacht. Er hat Glucks Oper nicht als eine Prinziplösung angesehen, sondern rein musikalisch, als eine Stilart mehr, die für gewisse Sachen ihm als die beste erschien (so ist
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