Mozart - Sein Leben und Schaffen
wunderbarste Beispiel eines Menschheitsbesitzes .
Nochmals müssen wir, um das klar zu erfassen, einige Schritte zurückgehen und wieder an Goethes Wort anknüpfen, daß das wesentliche Künstlerische der Genialität darin beruht, daß man zur Produktion von Kunst fähig ist, daß also die schöpferische Idee, die die Seele zu erfassen vermochte, nach künstlerischer Aussprache drängt. Erst in zweiter Linie steht die Umsetzung der Idee in die Tatsache, also die Gestaltung jenes Schöpfergedankens. Freilich tritt vor uns Menschen ja nur diese sichtbare oder hörbare, diese körperlich, sinnlich wahrnehmbar gewordene Gestalt des Kunstwerks, und somit ist man vielfach dahin gekommen, das Künstlertum nach seiner Gestaltungskraft einzuschätzen. Immerhin wissen wir alle, daß sogar bei den verschiedenen Völkern da eine verschiedene Veranlagung hervortritt, daß z.B. die Romanen, die Franzosen voran, vorzügliche Gestalter, daß sie ausgezeichnete Formengeber des ihnen schöpferisch Aufgegangenen sind, daß dagegen die deutsche Kunst fast immer schwer um diese Formengebung zu ringen hat, daß nur in ganz vereinzelten Fällen in der deutschen Kunst die Formengebung auf derselben Höhe steht wie die innerliche schöpferische Kraft. Nur wer es wagen würde, die germanische Kunst darum geringer einzuschätzen als die romanische, dürfte sich zu jenem verbreiteten Grundsatze, daß die Gestaltung dasWesentlichste der Kunst ist, ohne weiteres bekennen. Immerhin, die eine Tatsache bleibt bestehen, daß die künstlerische Kraft nur dann in Kunstwerke ausgemünzt werden kann, wenn eine solche Gestaltungskraft vorhanden ist und diese in Tätigkeit umgesetzt wird.
Wenn nun auch jeder schöpferische Gedanke in jeglicher Kunst einen Ausdruck finden kann, je nach der Formgebung, die dem betreffenden produktiven Menschen zur Mitteilung zur Verfügung steht, so liegt es doch in den einfachen Gesetzen der Logik, daß für jeden schöpferischen Gedanken eine Art der Aussprache die vollkommenste, die idealste sein muß. Es liegt hier der innerste Grund dafür, daß die verschiedenen Künste nach ihrer Trennung immer wieder Vereinigungen angestrebt haben, aus dem Gefühl heraus, daß es im Grunde nur eine Kunst gibt und die verschiedenen Künste nur unterschiedliche Mitteilungsarten der einen gleichen Kraft sind. Wenn es trotzdem im Laufe der Entwicklung dahin gekommen ist, daß die einzelnen Künste sich so sehr als selbständige Wesenheiten fühlten, daß man viel lieber die Grenzen zwischen den verschiedenen Gebieten untersuchte als das Einigende, daß die Wiedervereinigung dieser Künste als etwas Neues wirkte und sich regelmäßig zum künstlerischen Problem auswuchs, so zeugt das nur dafür, daß jede einzelne dieser Künste ein so unendlich weites Gebiet darstellt, daß der Einzelmensch für alle seine Empfindungen darin sehr leicht Platz findet, daß er in der Regel sogar noch lange nicht zur völligen Ausfüllung derselben kommt. Aber das Vorhandensein von Männern wie Michelangelo, Lionardo da Vinci, Goethe, Richard Wagner zeugt ebenso für das stete Vorhandensein dieses großen Urkunstgefühls wie die Tatsache, daß einzelne Künste sich sehr leicht innig verbinden können, z. B. Malerei und Plastik, Musik und Lyrik in der ganz volkstümlichen Form des Liedes, Poesie und Mimik bei aller Darstellung, Musik und Mimik im Tanz.
Die Trennung hat sich aber nicht auf die verschiedenen Künste beschränkt, sondern innerhalb der einzelnen Künste weiter gewaltet. Hierbei könnte man ein Nebeneinander von einem Nacheinander unterscheiden. Das Nebeneinander wird dargestellt durch die verschiedenenGattungen der betreffenden Kunst. Auch in der Wahl der Gattung offenbart sich das Formgefühl. Der Künstler erkennt, welche Art der Aussprache für seinen schöpferischen Gedanken die natürlichste ist, bei welcher am meisten die Form mit dem Inhalt sich deckt. Wir erleben gerade in der Musik heute immer und immer wieder, daß unseren Künstlern dieses Gefühl abgeht, indem sie z. B. für die einfachen, kleinen Formen des lyrischen Gedichts dieselben Ausdrucksmittel aufwenden wie für eine große Sinfonie. Zeitalter mit ausgeprägterem Formensinn haben sich in dieser Hinsicht niemals derartig vergriffen.
Außer diesem Nebeneinander gibt es ein Nacheinander . Das schildert uns die Geschichte der Stile , die in der Baukunst uns am augenfälligsten entgegentritt.
Stil ist, historisch genommen, eine Art der Formengebung, die zu einer gewissen
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