Mr. Fire und ich, Band 5 (German Edition)
mit?“
„Ich habe Monsieur Daniel nichts gesagt. Ich dachte mir, dass Sie bei der Ankunft von Monsieur Camille selbst mit ihm sprechen wollen.“
„Danke.“
Wir fahren zu einem abgelegenen kleinen Flugplatz mitten auf dem bretonischen Land. Auf der Landebahn ist nur ein einziges Flugzeug zu sehen. Camille erwartet uns, einen kleinen Koffer in der Hand. Sein maßgeschneiderter Anzug ist verknittert. Die breiten Ringe unter seinen Augen zeigen, dass er vermutlich die ganze Nacht kein Auge zugetan hat. Sein Gesicht hellt sich auf, als er mich sieht.
„Julia! Ich freue mich so sehr Sie zu sehen! Ich habe Ihnen so viel zu verdanken!“
„Guten Tag, Camille“, sage ich, während ich ihm die Hand gebe. „Sie brauchen mir nicht zu danken.“
Im Auto fragt mich Camille nach weiteren Einzelheiten über Agathe. Ich weiß fast genauso wenig wie er. Das Einzige, was ihm wichtig ist, ist, dass seine Tochter ihn sehen will.
„Nach all der langen Zeit hat sie mich nicht vergessen“, flüstert er gerührt.
Bei unserer Ankunft auf dem Anwesen ist niemand unter dem Vordach. Camille sieht ganz verloren aus. Wie lange ist es her, dass er zuletzt hierhergekommen ist? Mit großen Augen betrachtet er jedes Gemälde, jede Figur im Eingangsbereich und traut sich nicht, den Salon zu betreten. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, als wäre er ein Kind, das seine ersten Schritte tut. Und dabei hinfallen kann.
Er atmet tief durch und nimmt schließlich seinen Mut zusammen. Doch gerade als Camille bereit scheint, den Schritt zu wagen, lässt uns eine Stimme vor Schreck erstarren.
„Julia, ich habe Lust, hinauszugehen. Komm doch ...“
Daniel hat den Blick nicht von dem Juwelierkatalog gewendet, in dem er beim Laufen geblättert hat. Als er seinen Vater sieht, erstarrt er. Auf einen Schlag verwandelt sich sein Gesicht in eine Maske aus Hass: Verachtung, Wut, Zorn und Gewalt verzerren seine Züge. So etwas habe ich noch nie bei irgendeinem Menschen gesehen. Der so charismatische Mr. Fire ist buchstäblich verschwunden, um seinem unheilvollen Doppelgänger Platz zu machen. Instinktiv weiche ich mehrere Schritte zurück, während Camille in einer beschwichtigenden Geste die Hände hebt.
„Wie kannst du es wagen, dich hier blicken zu lassen?“
Daniel hat überhaupt nichts mehr unter Kontrolle. Seine Stimme ist verändert, er brüllt seinen Vater an, welcher versucht, ihn zur Vernunft zu bringen:
„Mein Sohn, wir haben doch miteinander gesprochen ... Du warst sogar einverstanden ...“
„Ich habe dir nicht erlaubt, dieses Grundstück zu betreten.“
„Daniel, ich musste kommen.“
Camilles tiefe Stimme hatte vermutlich in Kindertagen eine beruhigende Wirkung auf Daniel, aber heute hat sie keinen Einfluss mehr auf ihn. Im Gegenteil, sein Jähzorn scheint sich zu verdoppeln.
„Raus! Hörst du mich? Verschwinde aus meinem Haus!“
„Daniel, du musst mir zuhören.“
Er ist imstande, ihn zu töten.
Dies wird mir schlagartig bewusst, als ich für den Bruchteil einer Sekunde Daniels Blick kreuze. Davon bin ich überzeugt. Der Mann, der in diesem Moment mit langsamen Schritten auf Camille zugeht, ist imstande ihn zu töten. Ich wage es nicht mehr, mich von der Stelle zu rühren, um nicht eine noch größere Katastrophe heraufzubeschwören.
„RAUS!“, brüllt er und packt seinen Vater am Revers seiner Jacke.
„Daniel, nein!“
Mit einem Mal bleibt die Zeit stehen. Agathe steht am Ende des Gangs, eine gespenstische Gestalt, wie durch Zauberei erschienen.
„Daniel, lass Papa los!“
Ihre Stimme ist klar wie Kristall und in ihr liegt die gleiche natürliche Autorität wie bei der gesamten Familie Wietermann. Daniel, Camille und Ray, den ich nicht hatte herankommen sehen, sind alle wie vom Donner gerührt.
„Agathe...“, flüstert Daniel verstört. Er ist so überrascht, dass er Camille nicht zurückhält, als er auf seine Tochter zugeht, um sie in seine Arme zu schließen.
„Mein Schatz, endlich!“
Camille vergießt heiße Tränen. Ich weiß nicht, ob er über das Wiedersehen mit seiner Tochter weint oder weil sie wieder spricht. Vermutlich beides. Agathe hat sich ihrem Vater in die Arme geworfen.
Im Hintergrund wischt sich auch Ray die Augen und schenkt mir ein Lächeln.
Daniel dreht sich zu mir um und umarmt mich. Ich bin so glücklich, in gewisser Weise das Instrument für diese Versöhnung gewesen zu sein! Ich schmiege mich an den Mann, für den ich so viel Zärtlichkeit empfinde. Ich stelle mir vor, wie
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