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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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wand sich in unregelmäßiger Breite durch den Felsen. Connelly ging mit gesenktem Kopf und gebeugten Knien, die Fackel nach vorn gestreckt, den Revolver auf die Gangmitte gerichtet. Hinter ihm stöhnte und jammerte der Höhleneingang, aber er verschwendete keinen Gedanken daran. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und nahmen glitzernde, feuchte Flecken wahr. Unmöglich zu sagen, wie weit er bereits gegangen war, aber falls ein Berg ein Herz hatte, musste er zweifellos in dessen Nähe sein.
    Dann hörte er einen Laut, der aus weiter Entfernung kam.
    »Connelly«, flüsterte jemand.
    Er blieb stehen. Wartete. Schlich weiter.
    »Du bist gekommen«, sagte die Stimme. Sie klang, als hätte der Sprecher geweint. »Ich wusste es.«
    Connelly betrat ein großes Felsgewölbe, das sich über ihm und um ihn herum erstreckte. Kristalle verwandelten sich schlagartig in grelle Prismen, sobald der Fackelschein sie fand, und eine Sekunde lang glaubte er, dass man den Nachthimmel in diese Wände eingearbeitet hatte, als hätte jemand ihn in diesen Raum gezogen. Mit erhobener Fackel sah er sich um, fand aber nichts außer einem weiteren Tunnel auf der anderen Seite.
    »Weißt du, ich habe versucht, es zu verhindern«, fuhr die Stimme aus der Ferne fort. »Ich dachte, es könnte mir gelingen. Ich dachte, ich könnte zurückkehren und es verhindern.«
    Connelly bewegte sich langsam auf den nächsten Tunnel zu.
    »Aber ich glaube nicht, dass ich es schaffe«, flüsterte die Stimme.
    Er drückte sich neben dem Eingang gegen den Felsen und spähte mit ausgestreckter Waffe hinein. Da war nichts zu sehen. Der Tunnel führte in die Tiefe und beschrieb eine Biegung.
    »Es verlässt mich«, sagte die Stimme. »Kannst du es fühlen? Es lässt mich im Stich. Gewissermaßen bin ich froh, aber gleichzeitig weine ich. Denn was kommt nach mir? Wie geht es weiter? Ich weiß es nicht. Und ich fürchte es.«
    Connelly betrat den Gang. Der Weg beschrieb eine ausgedehnte Kurve, und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie tief unter der Erde sie sich befanden. Es mussten Meilen sein. Aber irgendwie konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass dieser Ort auf eine ihm unbekannte Weise kein Teil der Welt war. Niemals zuvor war er an einem älteren Ort gewesen. Er war so alt, dass er weit unter allem lag, unter allen anderen Dingen. Tief unter der Zeit. Unter jedem Wissen.
    »Der Tod wird nicht sterben«, warnte die Stimme. »Das wird er nicht. Das musst du wissen.«
    Connelly antwortete nicht. Er hielt die Fackel ausgestreckt und wischte sich den Schweiß von der Stirn, versuchte das Brennen des Qualms in Augen und Nase zu ignorieren. Die Fackel verbrannte schnell, und er war sich nicht sicher, wie weit es noch bis zum Narbenmann war. Noch zwei weitere Biegungen? Eine? Drei?
    »Er wird nicht sterben«, sagte die Stimme, und dieses Mal klang sie stärker, fremder. »Er wird zurückkehren. Stärker. Wilder. Härter.«
    Connelly spannte den Revolver. Die Stimme war jetzt ganz nah. Er konnte sie in der Nähe wimmern hören. Am Ende des Tunnels spiegelte sich schließlich Lichtschein an der Felswand, kam von einer Quelle hinter der nächsten Abzweigung. Er holte tief Luft.
    Dann bog er um die Ecke und entdeckte den Narbenmann, der vor dem Eingang zu einem noch größeren Tunnel auf dem Höhlenboden saß. Seine Schultern zitterten, sein Kopf war gesenkt. Vor ihm stand eine alte Laterne, und die Flamme hinter dem wachsartigen Glas tanzte langsam. Seine Finger hielten noch immer das Silbermesser umklammert. Der Boden um ihn herum war mit Knochen übersät; der Fackelschein ließ Augenhöhlen flackern, Rippen bogen sich wie betende Hände nach oben. Dazwischen lagen überall Waffen, aber es waren Waffen, wie sie Connelly noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Eine lange Muskete mit Feuersteinschloss. Ein schmales Rapier mit einem Griff aus Silber. Ein Breitschwert, dessen Klinge garantiert über einen Meter lang war. Sogar Steinwaffen waren vorhanden, zurechtgehauene Felsklingen, die auf primitive Weise an Stöcke gebunden waren, sowie angespitzte Holzspeere und Keulen aus Stein.
    Connelly konzentrierte sich auf den Mann auf dem Steinboden. Den Mann mit den Narben, der in der Mitte der Höhle saß und lautlos weinte.
    Connelly zielte mit dem Revolver auf sein Ziel. Der graue Mann hob den Kopf und schaute ihn an, die Narben traten weiß hervor, die Augen blickten tot und hohl. Haiaugen. Augen, die ohne jede Regung den Aufstieg und Fall von

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