Mrs Murphy 05: Herz-Dame sticht
verursachte, das Stadtmenschen immer erschreckt, wenn sie es zum ersten Mal hören. Der leichte Frost, der sich kalt anfühlte an ihren Fußballen, würde bis zehn Uhr morgens vergangen sein und sich nur an sehr schattigen Stellen oder auf dem Bachboden halten.
Ein tiefer, schnell fließender Bach trennte Harrys Farm von Blair Bainbridges Land, einem Anwesen, das einst der Familie von Reverend Herbert Jones gehört hatte. Murphy hoffte, Blair werde bald zurückkehren, denn sie hatte ihn gern. Als Model gehörte er zu der wachsenden Zahl von Amerikanern, die in ihrem Job viel Geld verdienten, aber lieber in einer hübschen Gegend als in der Großstadt lebten. Er war allerdings oft unterwegs.
Murphy blieb am Bach stehen, sah dem Wasser zu, wie es gurgelte und die glatten Steine übersprühte. Mrs Murphy, die Wasser nie viel abgewinnen konnte, mochte es noch weniger, wenn das Quecksilber unter fünfzehn Grad sank. Sie beugte sich über die tiefe Böschung, denn dort waren stille Tümpel, und wenn sie sich ruhig verhielt, konnte sie die kleinen Fische sehen, die sich dort tummelten. Sie hatte einmal erlebt, wie Paddy, ihr Exmann, einen Schwarzbarsch fing, eine Leistung, die ihre Leidenschaft für ihn entflammt haben musste, wenngleich sie heute nicht verstehen konnte, was sie je an diesem treulosen Kater gefunden hatte. Trotzdem, er sah gut aus und war liebenswert.
Ein Schwanzschnippen warnte den Fischschwarm vor ihr. Sie seufzte, trabte dann an die Stelle, wo der Jones’s Creek, wie der Bach genannt wurde, in den Swift Run und von dort in den Meechum’s River floss.
Der Geruch von gefallenen und noch fallenden Blättern kündigte den Winter an. Sie raschelten unter ihren Pfoten, was die Jagd auf Feldmäuse zu einem schwierigen Unterfangen machte. Sie folgte den Biegungen und Windungen des Jones’s Creek, bewunderte die Platanen, deren abblätternde Borke sich durch den Kontrast von Grau und Beige auszeichnete. Sie schreckte Raben auf, die Körner von einem Maisfeld pickten. Sie schrien sie an, erhoben sich über ihren Kopf, zogen einen Kreis und kehrten zurück, als sie weitergegangen war.
Nach abermals zehn Minuten erreichte sie die Stelle, wo der Bach in den Swift Run strömte. Eine große Weide, die Regen und Winde der letzten Wochen umgeworfen hatten, war vom gegenüberliegenden Ufer in den Fluss gekracht. Ein einsamer blauer Reiher, ein stummer Wächter, stand starr etwa fünfzig Meter stromabwärts.
Da Mrs Murphy am anderen Ufer war, hatte der Reiher, ein riesiger Vogel, kein bisschen Angst vor dem kleinen Raubtier. Immerhin war er so groß, dass er, würde Mrs Murphy den Swift Run durchschwimmen und sich auf seinen Rücken werfen, in die Luft schweben und die Katze mit sich nehmen könnte.
Er unterbrach sein Fischen und bedachte Mrs Murphy mit einem grimmigen Blick. Die Fangmethoden des Reihers beruhen auf Reglosigkeit, gefolgt von blitzschnellen Reflexen, wenn er mit seinem langen Schnabel nach einem Fisch schnappt – oder sonst etwas, nach dem ihm gerade gelüstet.
Die Tigerkatze setzte sich hin und beobachtete den großen Vogel. Eine eigenartig kräuselnde Strömung unter dem Weidenstamm lenkte ihren Blick von dem Reiher ab. Das Wasser schlug an das Hindernis und umwirbelte es, das Hindernis rollte ein wenig, dann brach sich das Wasser auf seinem Weg stromabwärts Bahn.
Mrs Murphy lief ein Stück am Ufer entlang, um besser sehen zu können, froh über ihre guten Augen, die so viel schärfer waren als Menschen- oder Hundeaugen. Sie sah angestrengt hinüber, und ein neuer kleiner Wasserschwall hob das Hindernis an. Ein Arm durchbrach die Oberfläche und sank dann wieder herab. Noch ein schwerer Regen, und der Leichnam würde von den Ästen der Weide befreit sein.
Mit gesträubtem Fell starrte Mrs Murphy hinüber. Die nächste Wasserwelle schob die Leiche ein bisschen nach oben, und sie sah, was von Linda Forloines Gesicht übrig war. Augen und Nase waren fort, das Werk hungriger Fische und Flusskrebse. Das Gesicht war noch weißer gebleicht und aufgequollen, aber es war ohne Zweifel Linda Forloines. Mrs Murphy kannte sie aus der Zeit, als sie in Mims Stall arbeitete.
Sie trabte zu ihrem Ausgangspunkt zurück und rief dem Reiher zu: »Entschuldige, dass ich dich beim Fischen störe. Ist dies dein Revier?«
»Natürlich ist es mein Revier«, lautete die schroffe Antwort.
»Weißt du, dass da hinten bei der Weide ein toter Mensch liegt?«
»Ja.«
»Weißt du, wie lange er schon da ist?«
Der
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