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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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quatsch. Das ist doch alles vorbei. Wo kommst du her?«
    Ich erzählte es ihm. »Du hast es gut«, sagte Siegfried. »Mich haben sie in eine Strafkompanie gesteckt. Ostfront. Aber ich bin ihnen abgehauen. Immer mit’m Schieslaweng. Alles weggeschmissen, auch den Waffenrock. Partisanenüberfall, habe ich ihnen erklärt. Da haben sie mich neu eingekleidet. Mir Ersatzpapiere gegeben. Eine neue Einheit konntest du dir leicht aussuchen. Standen ja überall die taktischen Zeichen. Für den Rückzug. Plötzlich war ich in Bayern. Da habe ich abgerüstet. War bei einem Bauern. Als die Amis kamen, habe ich Idiot gespielt. Fiel mir ja nicht schwer, bei meinen Schulleistungen. Ha!«
    »Warst du schon in der Laubenkolonie?«
    Siegfried winkte ab. »Schon. Riesenscheiße alles, sage ich dir.«
    »Wieso? Leben meine Leute noch?«
    »Die olle Katze ist hin. Eure Katze. Weißt doch, die mit den drei Beinen. Dein Oller ist auch hin.«
    »Ede?«
    »Hin. Splitterbombe. Offitt! Peng. Aus. Russische Ratas. Im Grunewald. Die haben da was gefaselt von Armee Wenck, die einen Keil bilden sollte. Durch die Russen durch. Alles Spinne. Ratas kamen. Wumm.
    Splitterbomben krepieren mit Aufschlagzünder. Ja, so was weiß ich. Staunste, was, Karl? Deine Mutter, sage ich, hat nicht mehr viel gefunden. Von Ede. Von deinem Alten. Tut mir leid. Komm, trink noch was. Geht auf meine Rechnung. Ich sammle Kippen und mach Pfeifentabak draus. Gutes Geschäft. Ohne Rauchermarken, aber zehnfacher Preis. Man muss frische Pflaumen nehmen …«
    Ich hörte nicht mehr, wie Siegfried mir sein Tabakrezept erklärte. Ede gab es also nicht mehr. Reserve neunzehnhundertacht.
    »… und man presst den Tabak mit den Pflaumen. Unter Luftabschluss. In leeren Cocaflaschen findste viele Kippen. Nur, die Säue, die Amis, manchmal hauen sie auch ihre gebrauchten Präservative mit in die Pullen. Die haben jede Menge davon. Präservative. Dabei dürfen sie doch mit den Deutschen gar nicht reden. Versteh ick nick.«
    »Siegfried, ich muss nach Hause.«
    »Ich begleite dich. Zahlen, zwei Bier.«
    »Was ist mit den anderen?«
    »Welchen anderen? Manche leben, manche. nicht. Harry Buseberg ist vermisst. Ostfront. Wer weiß, ob der wiederkommt, Gallert haben sie aufgehängt. Aber das war ja auch richtig.«
    »Junge, man jut, dass du da bist! Nu muss ich doch tatsächlich heulen, ich olle Frau!« Großmutter kam mir entgegen, auf dem Gartenweg. »Komm man, Menschlein. Herrjeh, dass du da bist.«
    Minnamartha kam aus der Laube gerannt. »Ohgottohgott, du bists wirklich, hach, ich muss auch weinen. Junge, Karl! Mit Ede, das ist furchtbar. Hast du schon gehört?«
    »Siegfried hat es mir erzählt. Ich traf Siegfried.«
    »Ach ja. Siegfried. Nu komm man rein.«
    Innen sah es ziemlich leer aus. Ein paar Brauereiklappstühle, ein runder Tisch, den ich nie vorher gesehen hatte, ein Sofa, auch nicht unseres, dem ein Bein fehlte: Mauersteine lagen darunter.
    »Ach, Gott«, sagte Minnamartha. »Die Russen haben alles zerteppert. Sie waren so lustig einen Abend. Sehr lustig. Die waren auch froh, dass der Krieg vorbei war. Aber leider … Alles kaputt. Willst du was essen? Wir haben einen Ami, dem waschen wir die Hemden. Ein Feldwebel, Ellsworth Kelley. Komischer Name. Er gibt uns Zigaretten. Dafür kriegt man jetzt alles. Amizigaretten. Neulich hat er eine ganze Stange gebracht. Scheßterfield. Sie kriegen es billiger. In der Pi-Ex. Mathilde arbeitet auch bei den Amis. Übersetzerin. Die kriegen da Mittagessen. Ach, vom Ede war ja nicht mehr viel übrig. Ich bin da hingegangen. Alle Bäume zerfetzt. Von den Leuten war nichts mehr zu finden. Warum musste er da auch hingehen? Ausbruch, haben sie gesagt. Ausbruch aus dem Kessel. Die Armee Wenck sollte kommen. Alles war Schwindel. Alles, sage ich dir. Von dreiunddreißig an war es Schwindel. Ich habe es ja immer gesagt. Diese Mörder. Die ganzen Juden haben sie … Komm, setz dich, hast du nicht Hunger? Mein Gott, wir haben uns Sorgen gemacht. Wir haben ja nichts gehört von dir. Man hört ja von niemand was. Tante Lizzi ist vermisst. Dabei war sie gar nicht beim Militär. Ich glaube, die Russen haben sie …«
    Minnamartha polierte das brüchige Wachstuch, das den runden Tisch bedeckte. »Mutter, ist es nicht schön, dass er wieder da ist? Ich habe ja immer gesagt, Karl, der kommt durch. Aber mit Ede, das ist furchtbar. In letzter Minute noch. Hätte er sich bloß versteckt. Im Keller. Hier, da unten. Die Taxen sind auch alle weg. Von den Russen

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