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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Habseligkeiten auf Wägelchen vor sich herkarrend. Englische Panzerwagen, die Kommandanten im offenen Turmluk, rollten durch die Dörfer. Deutsche Marineinfanterie übernahm im englisch besetzten Gebiet verschiedene Aufgaben. Immer noch war viel Uniform um uns herum.
    Aus Berlin keine Nachrichten.
    Im Juni verabschiedete ich mich, von Wulle und Werner, die in einem der Dörfer lebten, Bauern halfen, und blonden Landestöchtern mit Namen wie Frauke, Swantje oder Mombke nachstellten. Sie sprachen Friesisch, eine vollständig fremde Sprache, unverständlich selbst für jemand, der Plattdeutsch kann.
    Die ersten dreißig Kilometer legte ich auf einem alten Militärfahrrad zurück. Dann entwich die Luft aus den mürben Reifen. Ich ließ das Fahrrad stehen und lief weiter, mit kleinem Gepäck. Alles, was nicht wichtig war, ließ ich auf dem Gepäckständer des Fahrrades. Irgendjemand würde schon dafür Verwendung haben.
    Die lange Wanderung des Karl Kaiser hatte begonnen, ein Marsch durch die Lande, mit dem törichten Ziel, Berlin zu erreichen. Was denn wollte ich in Berlin? Ausgerechnet Berlin? Aber viele andere gingen gleich mir auf der Landstraße, schummelten sich durch, einem Ziel entgegen, das ihnen kaum etwas anderes verhieß als Enttäuschung. Deutschland war aufgeteilt in Besatzungszonen, und in jeder Zone gab es zusätzlich Sperren und Kontrollen. Niemand durfte diese Sperren eigentlich passieren, aber hunderte taten es.
    Gesperrt von den Engländern war die Eiderbrücke. Ein Leutnant und zwölf Marineinfanteristen auf einem Lastwagen nahmen mich mit. Es regnete. Sie warfen mir einen Uniformmantel über. Unbeanstandet passierten wir die Brücke.
    Den Nordostseekanal konnte man auf einer Fähre überqueren, aber dahinter standen spanische Reiter, Doppelposten davor, ein Deutscher und ein Engländer. Der Engländer ging zur Seite, ließ die Hose herunter, hockte sich ins Gras, Rückseite mir zugewendet. Der deutsche Posten las aufmerksam meinen Luftwaffenhelferentlassungsschein. »Damit kommst du eigentlich hier nicht durch«, sagte er. »Hau ab!« Ein Oberst im tarnfarbenen Opel, ein deutscher Oberst, volle Uniform, Orden, nahm mich mit bis Lauenburg, ein gutes Stück. Noch heute weiß ichnicht, was einen Monat nach der Kapitulation ein deutscher Oberst in voller Uniform dort in der Gegend zu suchen hatte.
    In Eldenea, einem Städtchen an der Dömitz, die bei Lauenburg in die Elbe fließt, blieb ich hängen. Viele andere mit mir. Wir lebten in Scheunen. Sammelten Blaubeeren, fällten Bäume. Im Wald saßen die Russen.
    »Berlin? Njema, njema! Zurück!« Im Niemandsland radelten sie Streife auf Feldwegen, vorbei an verlassenen Bauernhöfen. Die Sonne brannte herab. Die Häuser waren verwüstet, das Stroh aus den Betten gerissen, auf dem Fußboden verfaulten, Gestank verbreitend, Kaidaunen. Lila Schmeißfliegen krochen auf den Eingeweiden herum. Aus einem Brunnen wollte ich trinken, aber ein totes, aufgeblähtes Kalb mit weit aufgerissenen Augen schwamm an der Oberfläche.
    »Stoy! Wohin? Zurück!« Wir kamen nicht durch.
    Ende Juni luden die Engländer plötzlich ihr Zeug auf Lastwagen und brausten davon. Am nächsten Morgen marschierten singend die Russen in das Städtchen ein. Russische Besatzungszone! Die Sperre wurde trotzdem nicht aufgehoben. Aber manche waren durchgekommen. Wir versuchten es immer wieder, wurden verjagt. Eines Abends ließen sie uns durch. »Dawei, dawei«, riefen sie. Der Sommer brütete, auch nachts wurde es nicht kalt. Wir blieben in den Wäldern, aufgescheucht immer wieder von Patrouillen.
    Aber: Eines Tages rollte ein Zug die letzten paar Kilometer zur ehemaligen Reichshauptstadt, jetzt Viersektorenstadt: »You are now entering the American sector!« GI’s brausten in ihren Jeeps umher, ratterten über wiederaufgefüllte Bombenlöcher, durch Schneisen in der Trümmerlandschaft. Alles war hellgelb und weiß von frischem Trümmerstaub, den man im Mund schmeckte. Und die Sonnebrannte. Die Drake-Klause, eine typische Berliner Eckkneipe, war sogar geöffnet. Es gab Bier. Draußen stand, wie einst, Schultheiß-Bier angeschrieben. Im Halbdunkel lehnte eine Gestalt an der Theke, die mir bekannt vorkam.
    »Siegfried?«
    »Ja, Mensch. Du kommst aber spät.«
    Siegfried, der ewige Sitzenbleiber. Größer noch als ich ihn in Erinnerung hatte. Viel größer.
    Siegfried quetschte mir die Hand. »Mensch, dass du lebst.«
    »Kannst mich ja wieder verbimsen«, sagte ich.
    Siegfried winkte ab. »Ach,

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