Muckefuck
weggeschleppt. Mein Gott, es war furchtbar. Frau Buseberg ist mehrere Male vergewaltigt worden. Oh, viele. Sie haben viele vergewaltigt. Mein Gott, das ist der Krieg. Ich habe immer gesagt, wenn die Russen kommen … – Wo warst du denn? Erzähl mal. Wir haben uns so Sorgen gemacht. Wenn man hätte schreiben können… aber wir wussten ja nicht, wo du warst. Ich hätte geschrieben, bleib da, so lange die Russen … aber nun sind sie ja weg. Die Amerikaner, das ist viel besser. Warum die nicht in Berlin einmarschiert sind, als Erste. Sie standen doch schon an der Havel. Aber das haben die sich alles ausgeheckt, die Oberen. Nun erzähl mal!«
Großmutter saß auf dem anderen Klappstuhl, schneuzte sich in die Schürze. Dann stand sie auf und holte ihren Topf Kaffee, der auf der Herdkante stand.
»Muckefuck?«, fragte ich.
»Nicht ganz. Bisschen Bohne ist drin. Den kriegen wir auch von dem Ami. Von dem Kelley. Ellsworth Kelley heißt er.«
Am 7. März 1945 hatte US-Feldwebel Ellsworth Kelley, Jahrgang 1924, im Zivilberuf Mechaniker aus Houston, Texas, den ersten amerikanischen Jeep über die unzerstörte Rheinbrücke bei Remagen gesteuert. Seine Einheit hieß Hell on wheels, Hölle auf Rädern.
Beim weiteren Vormarsch auf die Elbe zu imponierte der kaugummimahlende Ellsworth der deutschen Zivilbevölkerung durch die – übrigens weitverbreitete – Sitte, einen Fuß aus dem Jeep hängen zu lassen, gleichzeitig Wrigley’s Chewing Gum zu kauen und eine Chesterfield zu rauchen. Wenn er die lange Kippe wegwarf, sah er regelmäßig im Rückspiegel seines Jeeps, dass sich ein Deutscher danach bückte.
Am 13. April hatten die Russen Wien erobert. Die Amerikaner schlossen das Ruhrgebiet ein und fingen in diesem Kessel Hunderttausende deutsche Soldaten. Einen Tag vorher hatte Ellsworth Kelley erfahren, dass Theodore Roosevelt gestorben war. Zu spät, um die Entschlüsse von Jalta noch zu revidieren. Neuer Mr. President und Nachfolger Roosevelts wurde Harry S. Truman, später, nach Abwurf der A-Bombe auf Hiroshima, Atombombenharry genannt.
Ellsworth Kelley steuerte seinen Jeep über deutsche Landstraßen und durch zerbombte deutsche Städte, verteilte großzügig Zigaretten an deutsche Zivilisten, obwohl das verboten war, und nahm regelmäßig seine Marschration in Empfang: Jene Pakete mit Ten-in-One-Rations, die später, so weit der Vorrat reichte, von US-Bürgern als Care-Pakete an bedürftige Deutsche verschickt werden durften, vierzehn Dollar das Paket inklusive Versandspesen, das Zeug lag, von Libertyschiffen angelandet, ohnehin in Europa herum, und die US-Heeres-Nachschubverwaltung, Quartermaster , machte ein gutes Geschäft.
Vorerst jedoch ernährten sich noch die wackeren Kämpfer der Hell on wheels von diesen Rationen. Ellsworth lenkte seinen Jeep ans Eibufer und wies deutsche Soldaten zurück, die versuchten, sich vor den Russen zu retten und hier das amerikanisch besetzte Ufer zu erreichen.
BBC-Sprecher behaupteten zwar, die Amerikaner würden schon im Haveltal auf Berlin vordringen, aber das war nun wirklich eine Falschmeldung, die in vielen Berlinern unberechtigte Hoffnungen erweckte. Ellsworth hörte nicht BBC und verharrte mit seiner Einheit Gewehr bei Fuß am Eibufer, wie es höhere Kommandostellen befahlen, bis die Russen durch den Rest Deutschlands gefegt waren, Berlinerobert, die verkohlte Führerleiche vor dem Reichskanzleibunker ausgebuddelt hatten.
Von der Kolonie Tausendschön wusste Ellsworth vorerst nichts, durfte aber vor der US-Newsreel, der Wochenschau, den ersten russischen Soldaten, die an der Elbe ankamen, die Hände schütteln. Whiskey gegen Wodka tauschen, cheers und nasdrowje rufen.
Dann fuhr der Feldwebel aus Texas nach Südosten, General Pattons Panzern nach, die inzwischen bis nach Böhmen vorgestoßen waren. Inzwischen drohte Atombombenharry, nicht zur Konferenz der Großen Vier nach Potsdam zu kommen, wenn die Russen nicht sofort den westlichen Alliierten den Einmarsch in ihre Berliner Sektoren genehmigen würden. So rollte Ellsworth Kelley Anfang Juni mit seinem Jeep Unter den Eichen entlang, vorbei an Gräbern gefallener russischer Soldaten, um ganz in der Nähe der Kolonie Tausendschön Quartier zu beziehen. Den linken Fuß ließ Ellsworth wiederum aus dem Jeep baumeln. Sein Mileage-Zähler zeigte 60000 miles, fast hunderttausend Kilometer. Aber der Jeep lief immer noch einwandfrei. Die Irrfahrt Ellsworths endete nicht hier, auch nicht die Irrfahrt der anderen Soldaten von
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