Muehsam ernaehrt sich das Eichhoernchen - Zum Glueck bin ich keins
Berliner Hinterhof. Ich habe nicht lange in Berlin gelebt, aber diesen Hinterhof werde ich nie vergessen. Er war gleich neben der Wäscherei Wiegers, der ältesten Wäscherei der ganzen Stadt. Diese Wäscherei ist auch ein bisschen schuld daran, dass ich unwesentlich fülliger bin als andere. Bei Oma Wiegers habe ich als kleines Kind das Futtern gelernt. Jeden Morgen nach dem Frühstück bei Mutter ging ich absichtlich langsam an der Wäscherei vorbei. Ich setzte ein gespielt leidendes Gesicht auf, und wenn mich Frau Wiegers so sah, rührte meine Schmollschnute das Herz der guten alten Wäschersfrau so sehr, dass sie sich die Frage: »Junge, hast du schon was gegessen?«, nicht verkneifen konnte. »Nein«, japste ich scheinbar dem Verhungern nahe. Heutzutage hätte man meinen Eltern wahrscheinlich das Jugendamt auf den Hals gehetzt. Aber für ein zweites Frühstück hätte ich das in Kauf genommen. Ich liebte das zweite Frühstück, bestehend aus leckeren Cornflakes. Danach ging es weiter zum Bäcker, der zu unserem Hinterhof raus seine Backstube hatte. Hier setzte ich den Blick eines Robbenbabys kurz vor der Schlachtung auf, was mir das ein oder andere Brötchen einbrachte. Am Schönsten war es aber, die Teigschüssel mit meinen kleinen Fingern auskratzen zu dürfen. Teig kann aber auch lecker sein! So hatte ich also fast täglich bis zum Mittag schon drei Mahlzeiten zu mir genommen und war ein glückliches und wohlgenährtes Kind. Ich sehe mich somit als Erfinder des »dritten Frühstücks«. Dass mein Essensmangel nur erlogen war, wusste ja keiner! Auch die fürsorgliche Frau Wiegers nicht, die irgendwann an meine vermeintlichen Rabeneltern appellierte, mir doch endlich mal was Essbares in den Schnabel zu schieben. Wer weiß, wie dick ich heute wäre, wenn ich mit meinen Eltern nicht im Alter von 4 Jahren überraschend nach Hamburg gezogen wäre. Vermutlich eine Flucht vor mit Fingern auf meine Eltern zeigenden Mitmenschen. Aber die dachten schließlich, sie würden ihr Kind hungern lassen. In Hamburg waren die Nachbarn – ich nenne es mal so – anders . Sie dienten nicht so sehr der Nahrungsversorgung. Dafür lernte ich hier recht früh ein bisschen Respektlosigkeit. Es gab da eine Nachbarin, deren Leben muss sehr traurig und öde gewesen sein. Das Spannendste, was sie wohl täglich erlebte, war, in unsere Wohnung zu gaffen. Meine Mutter war davon sehr genervt. Bald hieß die Nachbarin bei uns nur noch › die Blöde Kuh ‹ . Tagein, tagaus meckerte Mutter vor sich hin: »Die Blöde Kuh glotzt schon wieder.« Vater und ich hätten das gar nicht so wahrgenommnen, aber Mutter war voller Hassgefühle. Eines Tages, ich war so sechs Jahre alt, klingelte es bei uns. Arglos und freundlich öffnete ich die Tür und rief ebenso arglos und freundlich nach meiner Mutter: »Mama, Die Blöde Kuh von nebenan ist da!« Heute lachen wir darüber, wenn Mutter die Geschichte bei jedem unserer Familientreffen › zufällig ‹ einfällt. Der Vollständigkeit halber: Die › Blöde Kuh ‹ hatte bei uns geklingelt, um meine Mutter höflich, aber bestimmt darum zu bitten, nicht ständig bei ihr in die Wohnung zu glotzen. Ein genialer Schachzug, wie ich heute finde. Meine Mutter habe ich danach nur noch einmal wieder so drollig entsetzt und verstört dreinblicken sehen. Und nach diesem zweiten Mal ist sie nie wieder ohne Anklopfen in mein Zimmer gekommen, wenn Sie verstehen, was ich meine.
› Die Blöde Kuh ‹ jedenfalls zog kurz darauf weg. Vielleicht hatte sie genug gesehen und suchte sich ein neues Wirkungsfeld. Ihren echten Namen kenne ich bis heute nicht. Ob sie sich jetzt vielleicht meldet? Ich könnte mich bei ihr bedanken. Genau wie bei Oma Wiegers. Wenn Menschen heute sagen, mein Erfolg beruhe darauf, dass ich nur so frech sein kann, weil man mir kleinem Dicken nichts übel nimmt, dann muss ich sagen: Den Grundstein dafür haben Frau Wiegers und › die Blöde Kuh ‹ gelegt. Bei der Blöden Kuh habe ich gelernt, wie eine kurze Frechheit, zum richtigen Zeitpunkt geschickt platziert, einen ewigen Lacher kreieren kann. Und Frau Wiegers hat meine körperliche Statur geprägt, die mir heute oft Narrenfreiheit beschert. Und wenn man es ganz runterbricht – und das wird sie sicher freuen zu lesen –, ist mein Erfolg also irgendwie Mutters Verdienst. Sie gab mir zu wenig zu essen, und sie hat mir eingetrichtert, dass die Nachbarin eine blöde Kuh ist. Danke, Mama.
Meine Mutter hat immer gern gemeckert. Über alles und
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