Mueller hoch Drei
Karamellpudding, dazu ein paar Flaschen Multivitaminsaft. Das passte exakt in mein eher schmales Lebensmittel-Beuteschema. Oder anders gesagt: Es waren die einzigen Sachen, die ich wirklich mochte. Ich war also vorläufig gerettet, daher gestattete ich mir das erste Aufatmen des Tages und komponierte eine kleine Mahlzeit: Milchreis mit Götterspeise. Dazu trank ich Multivitaminsaft.
Als ich zum Nachtisch einen Karamellpudding wählen wollte, bemerkte ich allerdings auf dem hintersten Milchreis im Kühlschrank einen zweiten gelben Zettel, der mehr als doppelt so groß war wie der erste. Vermutlich würde darauf eine Generalbelehrung meiner ehemaligen Eltern stehen, vielleicht ein Vortrag über gesunde Ernährung im Allgemeinen und die Schädlichkeit von Fertigpudding im Besonderen.
Danach war mir nun gar nicht, und so verzichtete ich dankend auf den Nachtisch. Doch den Zetteln entging ich nicht. Denn als ich die leeren Packungen in die Mülltonne werfen wollte, glänzte dort ein weiteres Exemplar: Sehr brav! Du schonst die Umwelt. Aber leider weißt du jetzt nicht mehr, was du kaufen willst, du unselbstständiger und weltfremder Taugenichts.
Ich wollte nur noch ins Bett. Der Tag sollte nicht weitergehen. Schon immer hatte ich die Fähigkeit besessen, im Handumdrehen einzuschlafen, wenn die Dinge nicht gut standen. Davon wollte ich jetzt Gebrauch machen. Doch als ich die Bettdecke zurückschlug, fand ich darunter den nächsten Zettel: Was soll das heißen? Ins Bett, ohne die Zähne zu putzen? Ich fasse es nicht. Ab ins Badezimmer, du Ferkel!
Gehorsam putzte ich mir die Zähne, dann kroch ich in mein Bett und zog mir meine Lieblingsbettdecke über den Kopf, ein kunterbuntes Monstrum von sechs Quadratmetern, das eine Bekannte meiner Mutter aus Hunderten von ganz verschiedenen Stofffetzen zusammengenäht hat. Und obwohl ich befürchtet hatte, es könnte diesmal nicht funktionieren, schlief ich ein, kaum dass die Welt hinter der Patchworkdecke verschwunden war.
Piet Montag
A m nächsten Morgen erwachte ich aus einem Traum. Im Traum war Folgendes passiert: Nur eine Stunde nachdem sie mich verlassen hatten, kamen meine Eltern wieder zurück. »Überraschung!«, sagten sie und schwenkten alberne kleine Fähnchen. »Natürlich haben wir uns nicht von dir getrennt! Das war nur eine scherzhafte kleine Lektion.« Sie kicherten. »Du solltest bloß aus pädagogischen Gründen einmal spüren, wie trostlos ein Leben ohne Eltern ist.«
»Allerdings«, sagte mein Traumvater darauf mit veränderter Stimme, »wird sich eine Kleinigkeit in deinem behüteten Leben ändern.« Er packte die Fähnchen wieder ein. »Wir, deine mildtätigen Eltern, haben nämlich sieben arme Kinder aus drei Kontinenten adoptiert, damit die kleinen Hascherln auch von unserem Reichtum und unserer liebevollen Fürsorge profitieren. Denn es ist ja eine Schande, wie viel liebevolle Fürsorge und wie viel gutes Geld wir ausschließlich an einen melancholischen Tagträumer wie dich verschwenden.«
Ich wollte etwas antworten, bekam aber auch im Traum die Zähne nicht auseinander.
»Husch«, sagte da mein geträumter Vater, »geh schon mal in dein Zimmer und mach ein bisschen Platz. Jetzt wird es nämlich eng. – Hopp, ihr Kleinen!«
Auf dieses Kommando sprangen sieben Kinder hinter ihm hervor: zwei schwarze, zwei braune und drei gelbe. Johlend stürmten sie an mir vorbei in mein Zimmer. Ich sah noch, wie einer sich über meine Sammlung von Glaselefanten hermachte. Als es gefährlich zu klirren begann, erwachte ich schweißgebadet unter meiner bunten Decke.
Ich rollte mich aus dem Bett. Ein Glas Multivitaminsaft, dachte ich, könnte jetzt vielleicht helfen. Doch auf dem Weg durch den stillen Flur zur Küche erwartete mich eine weitere Überraschung. Es klingelte an der Haustür, ich öffnete, und vor der Tür stand jemand, der aussah, als käme er von irgendeiner Post. Seinen rechten Fuß hatte er auf eine Kiste gestellt, die überall Schlitze hatte und ziemlich ramponiert aussah.
»Bist du Paul Müller?«, fragte er streng.
Ich weiß, mein Name klingt ein bisschen wie die Namen, die Spione annehmen, wenn sie besonders unauffällig wirken wollen. Wohlgemerkt, blöde Spione oder solche, die noch in der Ausbildung sind. Aber wir heißen nun einmal Müller, wie viele andere Leute auch. Und wenn man schon Müller heißt, so pflegte mein Vater immer zu sagen, dann kann einem auch ein Paul nichts mehr verderben. Im Gegenteil: Vor einem Müller wird ein Paul
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