Mueller und die Tote in der Limmat
psychopathisch. Aber was sollte das Dahinsterben dem Holderegger und Maurer bringen? Sind ihre Stars tot, bringt das die Platten höchstens kurzzeitig in die Hitparade. Morgen bist du vergessen, wenn du keinen Hit nachschieben kannst. Und wer tot ist, komponiert in der Regel nicht mehr.
Also Holderegger auf jeden Fall auch eng im Auge behalten, denke ich, Sie auch, nicht wahr?
Also Holderegger sicher im Auge behalten, denkt auch der Müller Beni.
Aber es wäre zu einfach, wenn wir jetzt schon wüssten, dass es Severin Holderegger war oder sein Compagnon Roger Heeb. Ich meine: Wenn sie es gewesen wären, würde es uns Müller sagen, wenn er es wüsste. Entweder weiss er es selbst noch nicht, oder er wartet, weiss nicht warum, den weiteren Verlauf der Ereignisse ab, und wenn jetzt schon alles klar, dann Geschichte fertig und schade. Wir haben doch gerade so viel Spass zusammen.
Und jetzt Action. Los geht’s.
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Doch vorher noch einen Einschub. Das bedeutet: Es kommt etwas in die Geschichte herein: Andere Personen, andere Sachen, andere Taten, vielleicht andere Zeit, früher oder später. Machen die Autoren so, damit die Leserschaft vor Spannung fast zerspringt. Voll brutal!
Kann man sagen: Ist Erzählbetrug. Das passiert doch nicht so, dass Müller im Kopf etwas analysiert, was noch gar nicht passiert ist. Was für ein Durcheinander. Das passiert doch nicht so. Und womöglich inzwischen noch freundliches Telefongespräch Bucher Manfred (Polizei Zürich) mit Dr. Brenda Marquardt (zurzeit in Hamburg). Und womöglich auch noch Erzählung von Trauer von Angehörigen von Mordopfern. Also alles so hin und her, dass es einem schwindlig wird. Kann doch nicht sein.
Doch. Kann sein.
Aber, so der skeptische Einwender, ich bin doch jetzt hier und zum Beispiel in fünf Minuten bei der Wohnungstür und in sieben Minuten beim Tram und dann den ganzen Tag an der Arbeit. Alles schön eins nach dem andern. Da geht es nicht hin und her die ganze Zeit.
Schon wahr.
Aber, so der skeptische Einwender, warum bleibst du denn nicht die ganze Zeit beim Müller, damit ich verstehe, was er tut und wann und warum?
Also, sage ich da, dann wäre es doch gar nicht so interessant. Du wolltest doch auch den durch Verabreichung von K.-o.-Tropfen begünstigten Mord am frühen Sonntagmorgen circa ein Uhr mitansehen. Du wolltest doch auch den Kleinbus mit der ganzen Band Spitfire in die Gorges du Pichoux krachen und explodieren und brennen sehen und alle tot und dramatische Beschreibung in Panavision und Breitleinwand und Replay und Stereo. Und viel Horrorbeschreibung von kriminellen Sachen: Wie Mark Huber Johnny Maurer erpresst, weil Schwarzpressungen und Piratenplatten und Abrechnungsbetrug. Und die romantische Anbahnung Manfred und Brenda.
Ja?
Also.
Dann muss ich eben so ein bisschen hin und her und da und dort und jetzt und vorher. Damit es interessant ist. Das kommt in vielen Büchern vor.
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Und nun springen wir zurück in die Geschichte «Müller und die Tote in der Limmat» hinein. Der Müller Benedikt beherzigt nach dem Frühstück den unverhofften inoffiziellen Auftrag von Bucher Manfred: Macht sich zum Schatten von Johnny Maurer an der Ankerstrasse soundso. Hat er quasi im Blut. Manfred hat ihm schon mal im Voraus einen unauffälligen Zivilwagen vors Haus gestellt. Gutes Gefühl für den Müller, halb wieder richtig im Dienst zu sein. Etwas zu tun zu haben, das braucht der Mensch. Sein Leben gleicht wieder einem Vektor, der von A nach B zeigt. Hat eine Richtung. Das Observieren und «Beschatten» (Jargon) ist ein seltsamer Vektor, denn oberstes Gebot dabei ist: unsichtbar bleiben. Der Mensch ist das per se nicht. Darum hat die Polizei Techniken: wechselnde Beschatter, Sitzen im Auto, auf Parkbank hinter der Zeitung, mit Fernglas in der Wohnung gegenüber, im Strassencafé hinter der Sonnenbrille, als Spaziergänger mit Hund, mit Einkaufstaschen getarnt … Ich zähle nicht alles auf, weil die Polizei, sie hat noch viel unauffälligere Techniken, die wir nicht verraten wollen. Stichwort: Effizienz. Nur so viel: Der Müller, er steht zuerst beim dreieckigen Gebäude namens «Dreieck», hinter dem die Ankerstrasse und die Zweierstrasse sich vereinigen, und schaut in Richtung Helvetiaplatz. So hat er Johnny Maurers Hauseingang im Blick. Schattenseite, das ist im Sommer in Zürich wichtig. So kann er’s schon eine Weile aushalten. Er wird im Laufe des Tages auch die Vespas und Piaggio-Mofas im Schaufenster gegenüber studieren.
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