Mueller und die Tote in der Limmat
Das Schaufenster des Bücher- und Wein-Ladens auswendig lernen. Im Café im Dreieck einen Kaffee trinken, weil Rauchertischchen auf dem ankerstrassenseitigen Trottoir. Gut für den Überblick. Er wird das Müllauto vorbeifahren sehen, Velos und Autos, Fussgänger kommen und gehen, und in Johnny Maurers Küchenfenster wird kurz Johnny Maurer auftauchen, der das Fenster öffnet und (wohl) nach dem Wetter sieht. Der Müller wird den Second-Hand-Laden und das Vintage-Möbel-Geschäft begutachten, die parkierten Autos, den Hundedreck am Boden. Er wird sich ins Auto setzen, das Armaturenbrett polieren, die Strassenkarte studieren, immer ein Auge auf der Ankerstrasse soundso, wo sich nichts rührt – einen Hinterausgang gibt es nicht. Er wird jedes Gesicht sehen und sich einprägen, aber er kennt noch niemanden. Er trinkt zu viel Kaffee und isst zu viele Sandwiches. Rumoren in den Gedärmen. Druck auf der Blase. Traut sich kaum, zwischendurch im Café die Toilette aufzusuchen. Gut an diesem Standort auch: Er schaut dann und wann in die Elisabethenstrasse, wo «Huber, Krstic, Molinari» auf einer Klingel steht. Zwei sind tot, den Dritten sucht die Polizei Zürich mit grossem Aufgebot.
Apropos: Der Müller Beni ruft Freund Bucher Manfred (99 Kilogramm) an. Ergebnis: Fahndung nach Mark Huber bisher erfolglos, wird immer noch gesucht, Halali läuft weiter.
Weiterer Anruf: Musikjournalist Michael Hauser von der Bertastrasse. Auch er weiss nichts Neues, fragt aber den Müller nach Details zu Spitfire und Gorges du Pichoux, doch der Müller sagt: «Laufende Ermittlung» und «Amtsgeheimnis» und andere amtliche Wörter, aber auch «du wirst es erfahren, versprochen».
Und Anruf an Boulevardzeitungsmusikchef Tobias F. Hubacher. Der lädt Müller zu einer Party am Abend ein. Er weiss noch nicht, ob er hingehen soll.
Und dem Müller kriecht mittlerweile sein Polizei-Instinkt wieder so richtig das Rückenmark hoch und in die Lymphdrüsen hinein. Wie eine Schlange, die sich ihres Winterfells entledigt, häutet er sich und wird vom (vermeintlich und vordergründig) entspannten Sommerfrischler wieder zum Spürhund mit einer Elefantengeduld und einem Hyänengedächtnis. Du denkst, wie er da im Quartier steht, geht und sitzt, dass er sich gar nicht bewegt. Er scheint in die Hauswände und Autos hineinzusinken, sodass man ihn gar nicht sieht. Er passt sich wie ein Schmetterling seinem Hintergrund an, du siehst ihn nicht. Aber er hat seine Augen und Ohren überall. Er besteht quasi nur noch aus Augen und Ohren und saugt wie ein Schwamm alles auf, was an der Ankerstrasse soundso und rundherum geschieht.
«Auch Heeb befragen, Compagnon von Holderegger», wollen wir dem Müller zurufen, denn Heeb ist bisher völlig untergegangen, nur metaphorisch und nicht nautisch, und just jetzt denkt Müller: Auch Heeb fragen, Compagnon von Holderegger, weil bisher untergegangen.
Und zwischendurch Fisimatenten mit den Kolleginnen und Kollegen vom Verkehrsdienst. Weil der Müller hat sein Auto nicht ganz vorschriftsmässig geparkt. Muss es griffbereit haben, aber waren keine Parkplätze frei. Und die Verkehrsdienstler zücken schon ihre Bussenblöcke, und der Müller läuft herbei und winkt ab und raunt: «Kriminalpolizei, Observation.» Deutet mit dem Daumen vage in Richtung Helvetiaplatz und macht ein verschwörerisches Gesicht, und die Kolleginnen und Kollegen machen sich fast auffällig diskret davon. Aber heikel für den Müller: Das ist eine inoffizielle Mission. Er darf nicht auffliegen. Weil offiziell ist der Müller natürlich meilenweit vom «Dienst» weg, weil Schusswaffengebrauch und Untersuchung und Trauma. Deshalb freiwillig quasi out of order. Weil da musst du erst einmal damit fertigwerden. Wenn dann die Presse oder die gesundheitsfanatische Gewerkschaft oder gewisse politische Kreise davon Wind bekommen, dass du trotzdem halb oder mehr in Funktion bist … Aua! Dann bist du sowieso angeschmiert und gelackmeiert, kann ich dir sagen. Im Quadrat.
Also eine dringende Bitte an Sie, liebe Leserin, lieber Leser: Behalten Sie für sich geheim, was Sie hier lesen. Damit Müller Benedikt und die Polizeien von Zürich keine Schwierigkeit bekommen mit der Boulevardpresse und der Politik. Weil sie haben das wirklich nicht verdient. Machen ihre Arbeit. Machen etwas mehr als das. Machen es gut.
So geht das den ganzen Tag mit dem Beobachten und Warten und Schauen. Und dem Rumoren im Gekröse und den Toilettengängen.
Johnny Maurer ist ausser einmal
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