Mueller und die Tote in der Limmat
Sommer. Sagt, er macht jetzt Freizeit. Wieder einmal so richtig Feierabendgefühl, streichelt die Seele.
***
Du magst es nicht für möglich halten, aber auch die Polizei hat ihre musischen Talente. Hier eine Poesie-Kostprobe von einem unbekannten Polizeidichter:
«Das Verbrechen/ macht mich erbrechen./Böse Menschen/ sind wie Sensen. / Bei Schnitter Tod / da seh ich rot./ Ich will ihn fassen / nicht vom Haken lassen. / Und vor Gericht / hat nur die Wahrheit Gewicht.»
Das holpert zwar und kann man sich trotzdem mit einer schönen Melodie vorstellen, mit Schlagzeug und verzerrten Gitarren. Und es geht noch weiter:
«Die Sonne durchbricht die Wolkenschicht/ Licht überflutet die Welt/ und das Böse muss sich vom Acker schleichen.»
Aber mit der Sonne, das Bild stimmt nicht, weil es sowieso zurzeit ohne Pause sonnig und hell und heiss und Sommer ist in der Stadt Zürich. Das Gedicht kennen aber alle von der Polizei, weil es hängt im Umkleideraum in der Polizeikaserne, gleich unter der grossen Uhr, die unbestechlich die Einsätze ankündigt und bemisst. Und sie summen dieses Gedicht, jetzt, wo sie alle dem Sänger Mark Huber hinterherfahnden. Sie haben ihn nämlich noch nicht.
***
Unterdessen, eigentlich ein paar Stunden später, also nachts, rauscht bei Tobias F. Hubacher, dem Boulevardmusikzeitungschef, eine Party in vollem Gang. Duplex-Loft zuoberst auf dem Steinfelsareal. Äusserer Kreis 5. Ehemalige Seifenfabrik Friedrich Steinfels. Sehr angesagt, sehr trendy.
Und du glaubst es nicht: Alle meinen, Tobias F. Hubacher, kurz «Toby» für seine vielen Freunde, hat diese sexy Wohnung, weil er als Boulevardzeitungsmusikchef massenhaft Lohn abzapft. Aber in Tat und Wirklichkeit hat er, du wirst es nicht glauben, im Lotto mit sechs Richtigen eine Summe im tieferen siebenstelligen Bereich gewonnen und sich damit (abzüglich fünfunddreissig Prozent Verrechnungs- und Einkommenssteuer) diese Wohnung gekauft. Als Geldanlage und falls er sich wirklich eines Tages für immer ins Kaltwasser-Häuschen im Tessin zurückzieht. Das weiss niemand, das wäre auch geschäftsschädigend.
Toby macht noch voll auf geschmeidig und Partytiger und Verbindungen und Geschäft und wichtig. Das gehört halt zum Metier. Da schnupfst du schon einmal ein bisschen Pulver in deine Nase durch eine zusammengerollte, fabrikneue Tausendernote. Das macht man einfach so, ist Status, und das erwarten die Leutchen.
«Leutchen», sagt Tobias F. Hubacher gerne zu seinen Gästen. «Leutchen, habt Spass.» Und Toby ist ein guter Gastgeber. Dafür hat er einen Topf Spesen bereit, weil er immer wieder in Kooperationen mit Firmen der Musikwirtschaft zusammenarbeitet. Er ist schon quasi ein Mogul durch seine Auflage und sein Beziehungsnetz, und alle fressen ihm aus der Hand … Pascal, Silvio, Rudolf, Mike … Sie wissen schon, kennen wir alle mindestens vom Hörensagen. Und immer guter Cateringservice und auch zu trinken, Toby knausert nicht.
Und auch auf der Dachterrasse im ehemaligen Seifenturm ist’s heiss, und Tobys Blick schweift über sonnengebräunte Schultern und Rücken und Arme und Beine von Sternchen und Sternschnüppchen und männlichen Pendants mit mehr Kleidern und mehr Barthaar. Alle Lebenden, die man hier kennen muss im Kreativwirtschaftszyklus der schönen Stadt Zürich, Kulturhauptstadt, downtown Switzerland, world class, zwölf Stadtkreise, finden sich ein, die goldene Kreditkarte und eine Packung Präservative in der Tasche. Hell perlt der Champagner im Glase, «Cüpli» heisst das hier etwas blöd, glockenhell klingt das Lachen der Girls und Lustknaben, luftig schäumen der Prosecco, aber auch Hopfen, Gerste, Hefe und Malz. Im Nebenraum schnauft man weisses Pulver in Nasenhöhlen. Vom Wohnzimmer (gross, hell, funktional, bequem, ist das dort hinten ein original Warhol?) und der Terrasse (gross, möbliert, glamourös) geniesst man die malerische Sicht aufs Industriequartier, das die Sprache der Public Relations und des Marketings seit einigen Jahren «Zürich West» nennt, weil das sauberer und schwungvoller klingt und niemanden mehr an die Altlasten im Boden erinnert und an Schweiss und blaue Arbeitskleider und in Zeitungspapier eingeschlagene Eingeklemmte (heute: «Sandwich»), die so schrecklich unhip Arme-Leute-Gestank verbreiten. Nein, heute ist Dynamik anbefohlen. Die Stadtviertel müssen heissen wie Immobilienprojekte, sie haben die Pflicht, Investoren und Steuerzahler anzulocken und Webdesigner und Freiberufler, Konzept-
Weitere Kostenlose Bücher