München - 2030
Küche betrat, saß Charly bereits am Küchentisch und sah zerknirscht drein.
»Ich hab wieder einmal kein Auge zugetan«, klagte er.
»Das hättest du mir nicht sagen müssen«, erwiderte Victor, der Charlys Schlafprobleme schon länger kannte und genau wusste, wie sehr sie ihn quälten.
»Drüben, am Friedhof haben sie die ganze Nacht wieder durchgearbeitet. Ich hab jetzt noch den Motorenlärm der Bagger in den Ohren. Aber am gemeinsten sind die Geräusche, die die Schaufel von sich gibt, wenn sie über die Erde kratzt – da steh ich im Bett.«
»Ja, ich hab auch etwas gehört«, erinnerte sich Victor, »aber zum Glück liegt mein Zimmer auf der anderen Seite des Hauses und wenn ich mal müde bin fallen mir die Augen zu, da hält mich nichts wach.«
»Das stimmt«, bestätigte Susann, die gerade frisch aufgestanden war und die Post aus dem Briefkasten geholt hatte, »wenn der mal schläft, wecken ihn keine zehn Pferde mehr.«
Susann holte zwischen ein paar Rechnungen den Werbeprospekt eines Beerdigungsinstitutes hervor.
»Was haltet ihr davon?«, fragte sie die beiden und legte ihn auf den Tisch, damit sie ihn sich ansehen konnten.
Im Jahr 2030 lebten in München und Umgebung etwa dreißig Millionen Personen in einem Alter von über 60 Jahren. Davon waren mindestens fünfzig Prozent über 80. Allein auf die Stadt selbst entfielen geschätzte zwölf Millionen alte Menschen und es strömten täglich neue hinzu. Und das, obwohl die Sterberate enorm hoch war. Täglich gab es tausende Beerdigungen zu erledigen. Die Friedhöfe hatten eine logistische Aufgabe zu bewältigen, die sich gewaschen hatte. Während am Tag die Beerdigungsfeierlichkeiten abgehalten- und eingebuddelt wurde, baggerte man die Leichname nachts wieder aus und karrte sie zu Massengräbern vor die Stadt, wo sie dann in taghell erleuchteten Leichendeponien erneut verscharrt wurden.
Obwohl ordentliche Begräbnisse in Friedhöfen recht teuer waren, war diese Variante die am häufigsten gewählte. Wenngleich es den Alten schon klar war, dass sie auch nach einer ordentlichen Beerdigung mit Trauermusik und Pfarrer in einem Friedhof in ihrem Grab nur maximal fünf Tage verbleiben konnten – so stand es in den Knebelverträgen der Kirchen und Beerdigungsinstitute – war es für die Vertragsinhaber dennoch ein kleiner Trost erst einmal sanft, und unter Klängen von Trauermusik ins Erdreich gebettet zu werden, anstatt, dass man sie gleich nach dem Ableben in ein Massengrab warf. Auf so ein bisschen Beerdigungskultur wollte auch in diesen Zeiten niemand verzichten. Deshalb hatten die meisten Alten Versicherungen abgeschlossen, die dem Inhaber den Anspruch auf ein anständiges Begräbnis zusicherten. Man konnte bei der Vertragsabschließung seine Beerdigung in Zig Varianten wählen. Doch in der Regel wurde in drei Versionen unterschieden:
Beerdigungspaket Standard. (Rede, Trauermusik, und Schluchz-Laute vom Band).
Beerdigungspaket Service. (Standardansprache und Einmannkapelle durch einen Mitarbeiter des Institutes, und Schluchz-Laute vom Band).
Beerdigungspaket Service plus. (Individual-Ansprache durch einen original Pfarrer, Mehrmannkapelle mit lebender Besetzung und Schluchz-Laute durch einen Alten-Chor).
Nur den ganz Armen, war auch das verwehrt.
Ungeachtet der Tatsache, dass illegale Leichenentsorgung unter Strafe stand, musste tagtäglich die Münchener Leichenabfuhr ausrücken, um die sterblichen Überreste der Ärmsten und Armen in den Straßen einzusammeln.
Inzwischen hatte sich Susann einen Kaffee eingeschenkt.
»Was meint ihr dazu?«, fragte sie und zeigte auf den Prospekt. »So ein schönes Begräbnis wäre doch nicht schlecht?« Charly nahm den Prospekt zur Hand, schien sich aber nicht dafür zu interessieren und reichte ihn an Victor weiter.
»Ich bin schon versichert«, sagte er.
Victor rümpfte die Nase.
»Warum den ganzen Aufwand, wenn sie einen hinterher wieder ausbuddeln?«, meinte er und warf den Prospekt kopfschüttelnd auf den Tisch.
»Bisher wurden noch alle aus meiner Familie ordentlich beerdigt«, erwiderte Susann ein wenig schroff, die sich an Victors abgeklärter Sichtweise stieß.
»Auf ein bisschen Tradition sollte man nicht verzichten,
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