Tentakel-Trilogie 2: Tentakeltraum
1 Lydos
So, wie er da stand, den schlanken Leib gegen das Licht des Vollmonds gereckt, konnte man ihn inmitten der Felsformation für einen gigantischen, erigierten Penis halten. Die leichte Vibration der kraftvoll gestreckten Gestalt trug mit ihrer wachsamen Spannung zu diesem Eindruck bei.
Marechal a. D. Rahel Tooma hatte nie besondere Verwendung für männliche Geschlechtsorgane gehabt und diese spezielle Assoziation ließ ihre Entschlossenheit, so genau wie möglich zu zielen, nur noch größer werden. Der große Schwanz, den manche dort möglicherweise zu sehen glaubten, war in Wirklichkeit ein voll entwickeltes, intelligentes Lebewesen. Ein Alien. Ein Tentakel. Über die Art seiner Intelligenz machte sich Tooma keine Illusionen. Der da oben war ein Soldat, allein gezüchtet – oder angepflanzt – zum Kampf. Darauf waren auch alle seine geistigen Fähigkeiten hin ausgerichtet. Der Tentakelsoldat war intelligent, aber das auf eine sehr eingeschränkte Art und Weise. Tooma bezweifelte, dass sie mit diesem Alien eine sinnvolle Kommunikation würde beginnen können.
Das war auch nicht weiter schlimm.
Die einzige Form der Kommunikation, an der Rahel in diesem Augenblick interessiert war, bestand darin, den Soldaten mit einem wohl gezielten Schuss außer Gefecht zu setzen. Das war aufgrund der Konsistenz seines Körperpanzers sehr schwierig, aber Rahel glaubte daran, dass man mit Herausforderungen wuchs. Die vergangenen Monate, in denen sie und ihre Gefährten bereits diesen kleinen Guerillakrieg gegen die Invasoren führten, waren ein einziger Wachstumsschub gewesen.
Rahel fixierte den Alien noch einmal genau durch das Visier ihres Sturmgewehrs, atmete aus und drückte ab. Die hochbeschleunigte Sniperpatrone wurde lautlos abgefeuert, dafür sorgte der Schalldämpfer.
Etwas spritzte auf. Der schlanke Tentakelkörper sackte zusammen.
Coitus interruptus! , dachte Tooma. Sie glitt bereits die Anhöhe hinunter, das Sturmgewehr wie eine Geliebte an sich gedrückt. Sie wusste, wie die Tentakel im nahen Lager reagieren würden. Damit rechnete sie sogar fest. Suchscheinwerfer gingen an. Bewegung, scheinbar hektisch und chaotisch, doch, wie Rahel mittlerweile genau wusste, sehr gut organisiert. Zielgerichtet. Aber das Ziel war beweglich, fast unsichtbar und kannte das Terrain. Das Ziel war Rahel und es rannte.
Sie wusste, dass die Bodensensoren ihre Schritte anmaßen und den Aliens ihre ungefähre Position enthüllten. Ungefähr genug, um Rahel sowohl als Köder für eine Jagd nützlich zu machen, wie auch die notwendige Ablenkung für Li zu schaffen, der den eigentlichen Angriff durchführte. Eine Aufgabe, die nur unwesentlich weniger gefährlich war als ihre eigene. Doch sie beide waren mittlerweile ein sehr gut aufeinander eingespieltes Team, das einander blind vertraute.
Rahels Lauf war zu einem regelmäßigen Trott geworden. Sie hatte Position Alpha beinahe erreicht. Hier würde sie sich zum ersten Mal verteidigen. Sie hoffte, dass sich die militärische Doktrin ihrer Feinde nicht verändert hatte. Wenn alles so klappte wie geplant, hatten sowohl die Tentakel als auch Rahel diese Nacht noch einiges vor.
In ihrem rechten Ohr erklang ein sanftes, kaum wahrnehmbares Knistern. Li hatte seine Mission begonnen. Vor Rahels geistigem Auge stand der alte Mann, den Raketenwerfer in Position gebracht, die Zieldaten verifizierend. Dann musste er auf den Auslöser drücken. Die Zeitverzögerung würde ihm einen kleinen Vorsprung geben, um sich auf seine zweite Position zurückziehen zu können. Dann würde die Rakete …
Tooma sah einen hellen Lichtschein über dem Lager auftauchen. Ein dumpfes Grollen, ein Luftstoß, heiße Luft, die an ihrer Stelle nur noch als plötzliche Wärme wahrnehmbar wurde. Ein Pflanzzentrum der Invasoren war dem Erdboden gleich gemacht, wenn Li richtig gezielt hatte. Alle Setzlinge, die Gärtner … und die Pflanztöpfe, lebende, menschliche Gehirne, in die die Wurzeln der Setzlinge gestoßen worden waren.
Rahel bekämpfte kurz die aufsteigende Übelkeit, die sie jedes Mal erfasste, wenn sie daran denken musste. Die Drogenpakete unter ihrer Haut hatten die Aufwallung schnell wieder unter Kontrolle. Sie spürte, wie sich ihr Magen beruhigte, wie falsche, künstliche Zuversicht ihr Bewusstsein erfüllte.
Rahel kauerte sich hinter einem vorbereiteten Baumstamm zusammen. Ein zischendes Geräusch ertönte, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Die erste Falle war gesprungen. Ein oder zwei
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