Muenchen - eine Stadt in Biographien
Urenkel vom Onkel vom Hund von Adolf Hitler« , zu Füßen und beruhigt sein Gegenüber: »Wenn ich sage ›fass!‹, gehorcht er, aber ich sag’s nicht. Ich könnte – aber ich tu’s nicht.«
Wenn man so einem im wirklichen Leben begegnet, heißt es »Obacht« geben. Wer diese Polt-Figur auf der Bühne erlebt, erkennt auf Anhieb, warum dieses heute so heitere München zur »Hauptstadt der Bewegung« werden konnte. Aber wir Zuschauer lachen trotzdem. Es schwingt da hin und wieder ein wenig Scham mit, wir fühlen uns ertappt von der Figur da oben auf der Bühne, die uns mit ihrem fiesen Lachen Einverständnis abverlangt, und das auf einem Niveau, auf das wir uns nie begeben wollten.
DER BAYER POLT GEHT NACH SKANDINAVIEN
Sein Lebenslauf geht so: »Ich wurde am 7 . 5 . Mai 1942 geboren und zwar in München. Nach einiger Zeit unsteten Verweilens auch unter anderem in der Kindheit beschloss ich dann doch den Beruf des angewandten Komikers zu übernehmen. Diesen Beruf übe ich zuweilen heute noch aus. Hochachtungsvollst Gerhard Polt.«
Mehr hat er nicht zu sagen zu seinem bisherigen Leben, weil er ohnehin der Meinung ist, dass sich eine Biographie eigentlich gar nicht gehört, vor allem, wenn man noch am Leben ist. Was dennoch durchsickerte: Die ersten Jahre lebt die Familie in der
Amalienstraße 27
( ▶ E/F 3 ) , die Mutter zieht aus der zerbombten Stadt mit dem Sohn nach Altötting, dann wieder zurück. Die Polts sind befreundet mit den Müllers, den Eltern des Jugendfreunds Christian. Gerhard studiert zunächst an der Ludwig-Maximilians-Universität Politische Wissenschaft und Skandinavistik. Der Hintereingang der Uni ist schräg vis à vis der elterlichen Wohnung. Die Rennstrecke seiner Kindheit, die
Maxvorstadt,
Schelling-, Amalien-, Türkenstraße, hier reihen sich heute Copyshops an Cafébars und Klamottenläden, hier ist München studentisch und multi-kulti. Doch der urmünchnerische Münchner liebt den Norden, er geht ein Jahr nach Göteborg, tritt später vor dem schwedischen König auf, der nicht alles versteht. Dafür aber die Königin aus Heidelberg. Gerhards Spezl
Hanns Christian Müller
bleibt in München, geht auf die Schauspielschule, lernt dort
Gisela Schneeberger
kennen.
Der Gerhard, der Christian und die Gisela. Sie sind jung und neugierig, treiben sich in der Theater- und Kabarettszene herum, verbringen viel Zeit in der 1956 von Dieter Hildebrandt und
Samy Drechsel
gegründeten
Lach- und Schießgesellschaft,
in der Ursulastraße in Schwabing, gleich hinter der Feilitzschstraße, wo immer noch das Nachtleben brummt, wenn auch nicht mehr so »griabig«, etymologisch von »groovy«, sagt Polt, wie einst. Das
Fraunhofer,
das
Lustspielhaus,
das »
Resi«, Staatsschauspiel
oder
Residenztheater
24 ( ▶ F 5 ) , und die renommierten
Münchner Kammerspiele
16 ( ▶ G 5 ) , der Jugendstilbau an der Maximilianstraße, es werden später die Bühnen sein, wo sie zusammen mit der Volkssänger- und Volksmusikgruppe »Biermösl Blosn« ihre Erfolge vor chronisch ausverkauftem Haus feiern werden.
Polt und Schneeberger trauen sich als Komödiantenpaar alles zu, schon ihr erster gemeinsamer Bühnenauftritt 1976 , mit der dramatisierten Parodie auf den Kitschroman »Mama mach die Lampe aus« ist zuerst ein Geheimtipp, bald ein Erfolg. 1979 die Uraufführung von »Kehraus« an den Kammerspielen, eine szenische Collage um den Alltag im Büro, aus den Schwächen und Niederträchtigkeiten der Angestellten des »Fidelitas Versicherungskonzerns«, aus vielen kleinen Tragödien wird das Stück gebacken, gespickt mit abgedroschenen Lebensweisheiten. Aus der Revue wird ein Hörspiel, schließlich ein Film unter Müllers Regie, der 1983 in die Kinos kommt und den Deutschen Filmpreis erhält. Jetzt geht es Schlag auf Schlag, Filme, Theaterszenen, Dramoletts, Revuen, Fernsehen, Radio. »Fast wia im richtigen Leben«, »Man spricht deutsh«, »Tschurangrati«, »München leuchtet« . Sie schreiben und spielen mit Volldampf, und der Spaß, den sie dabei haben, überträgt sich auf das Publikum.
Es ist etwas Neues, was da aus dem Dimpfldunst des bayerischen Traditionsrepertoires, dem Volkstheater, der Volksmusik und Volkssängerei emporwächst: eindeutig links, unverschämt, aggressiv, extrem bayerisch in Wort und Charakter, dabei modern und präzise inszeniert. Das vermeintlich Gemütliche, Heimatliche kippt ins gewalttätig Kleinkarierte, engherzig, kalt und brutal – und eben sehr komisch.
Polt und Schneeberger halten
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