Münsterland ist abgebrannt
sie sich dadurch Schürfrechte sicherten – und vor allem Präsenz demonstrierten.
«Du glaubst nicht, wie es hier aussieht», sagte Vogtländer. «Du denkst, du bist in der Sowjetunion gelandet. Überall Schrott und Zerfall. Sozialistische Parolen und Malereien an den Häusern, in denen keine Menschen mehr leben, sondern Möwen. Und Löcher in den Straßen, in denen kann man ganze Kleinwagen versenken.» Vogtländer lachte. Ein Lachen, das in ein Husten überging. «Dagegen hilft nur Wodka. Viel Wodka.» Vogtländer sagte etwas auf Russisch.
«Ulrich, ich muss mit dir reden.»
«Klingt so, als wolltest du eine Beziehung beenden. Warte mal, ich gehe raus, draußen ist es ruhiger.»
Weigold hörte, wie die Stimmen leiser wurden, eine knarrende Tür, dann ein Rauschen, das wohl von einem heftigen Wind verursacht wurde.
«Ein phantastisches Wetter heute. Arktischer Bilderbuchsommer. Vierundzwanzig Stunden Sonne und sieben Grad plus. Heißer wird’s hier nie.» Vogtländer hustete erneut.
«Bist du krank?»
«Nein. Nur eine kleine Erkältung. Erzähl! Um was geht es?»
«Ich glaube, ich werde verfolgt.»
«Glaubst du, oder wirst du? Im ersten Fall würde ich zum Arzt gehen, im zweiten zur Polizei.»
Weigold erzählte von den zwei Männern, die ihn ständig beobachteten. «Und Mergentheim von der Münsterländischen Privatbank van Waalen ist tot. Angeblich Selbstmord.»
«Was regst du dich auf? Ein Banker weniger, der das Wirtschaftssystem ruinieren kann.»
«Mergentheim war nicht der Typ für Selbstmord.»
«Irgendwann müssen wir alle abtreten, Christian. Manche bevorzugen die freiwillige Variante.»
«Dein Humor in Ehren …» Weigold wurde langsam wütend. «Du bist da oben weit ab vom Schuss. Dir kann das alles egal sein.»
«Richtig», sagte Vogtländer unbeeindruckt. «Das überlegt sich jeder Mörder zweimal, ob er die lange Reise nach Longyearbyen auf sich nehmen soll, um mich zu erledigen. Außerdem profitiere ich nicht von der alten Geschichte. Im Gegensatz zu dir.»
Das stimmte natürlich, Vogtländer hatte sich nie die weiße Weste schmutzig gemacht, dafür war er allerdings auch leer ausgegangen. Weigolds Vermögen war dagegen allein im letzten Jahr um mehr als fünfhunderttausend Euro gewachsen, neben dem schmucken Ferienhaus in Südfrankreich verfügte er rechnerisch über etliche Millionen.
«Was soll ich machen?», fragte Weigold versöhnlich. «Gib mir einen ehrlichen Tipp.»
«Nichts.»
«Wie nichts?»
«Mach einfach gar nichts, dann erledigt sich die Sache von selbst. Schlimmstenfalls haben es die Typen auf dein Bargeld abgesehen. Falls das so ist, spiel nicht den Helden, Geld hast du ja genug.»
«Und das mit Mergentheim?»
«War ein gottverdammter Zufall, nichts weiter.»
«Danke», sagte Weigold unschlüssig. «Wir sollten öfter telefonieren, findest du nicht?»
«Klar. Du weißt ja, wie du mich erreichst. Nur in der Samenbank gibt’s keinen Empfang. Aus Strahlenschutzgründen.»
Weigold beendete das Gespräch. Er war sich nicht sicher, ob Vogtländer sich über ihn lustig gemacht hatte. Der Biologe war schon immer ein Zyniker gewesen, die Arktis schien diese Eigenheit noch zu verschärfen. Andererseits arbeitete Vogtländer für die globale Samenbank – im Dienste der Menschheit sozusagen. Auf Spitzbergen wurden Samen von Pflanzen aus allen Ländern eingelagert, als Reserve für den Fall, dass die Pflanze in der Natur ausstarb. So gesehen war es dann doch wieder ein Zynikerprojekt: eine Arche Noah der Pflanzen, notwendig geworden durch die Unvernunft der Menschheit, die ihre eigene Existenzgrundlage vernichtete.
Während er über Vogtländer nachdachte, hatte Weigold die Gegenwart vergessen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er Max schon längere Zeit nicht mehr gesehen hatte. Er rief nach dem Hund. Normalerweise entfernte sich Max nie außer Rufweite und antwortete sofort mit einem Bellen. Heute nicht. Die Angst kehrte zurück, als hätte er von einem Boxer mit Tarnkappe einen Schlag in die Magengrube bekommen.
«Max!», rief er erneut, noch lauter als vorher. Keine Antwort.
Weigold lief in die Richtung, in die der Hund entschwunden war, verfing sich im Unterholz, stolperte. Da, ein Bellen. Ein braunweißer Wollknäuel jagte ihm entgegen.
Max guckte so schuldbewusst, als sei ihm klar, dass sich sein Herrchen Sorgen um ihn gemacht hatte. Doch Weigold brachte es nicht übers Herz, das Tier zu bestrafen.
«Komm her, Max», sagte er fast zärtlich. «Komm her, wir gehen
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