Münsterland ist abgebrannt
Ana nach Münster verschlagen habe. Und sie begann zu erzählen. Von ihrer Kindheit in Südchina, wo sie mit ihrer Mutter und ihren Verwandten auf einem großen Bauernhof gelebt habe und wie alle anderen bei der Feld- und Hausarbeit mitmachen musste. Dass man in der Dorfschule ihre überdurchschnittliche Begabung entdeckt habe und sie dank eines staatlichen Förderprogramms zuerst in die nächstgrößere Stadt und dann nach Peking gekommen sei, wo sie an der Universität der nationalen Minderheiten studiert und einen deutschen Professor näher kennengelernt habe, der ihr zur Ausreise nach Deutschland und zum Abschluss ihres Medizinstudiums in Hamburg verhalf. «In Münster bin ich schließlich zufällig gelandet, weil hier eine Stelle in der Rechtsmedizin frei wurde.»
«Dafür, dass Sie erst wenige Jahre in Deutschland sind, sprechen Sie sehr gut Deutsch.»
«Oh, ich habe schon in Peking Deutsch gelernt. Ich lerne sehr schnell, und auch in China werden viele Sprachen gesprochen.»
Bastian hatte nur eine vage Vorstellung von China und eine noch vagere von Südchina. Offenbar gab es da Völker, die nicht so aussahen wie die Chinesen, die er von Zeitungs- und Fernsehbildern kannte.
Yasi Ana lachte, als er ihr sein Unwissen eingestand. «Ursprünglich stammen die Mosuo aus Tibet. Seit dem dreizehnten Jahrhundert, als die mongolischen Eroberungen die Völker Chinas durcheinanderwirbelten, ist ihre Existenz verbürgt. Kublai Khan ließ damals seine Reiter am Ufer des Lugu-Sees rasten, und bestimmt fließt auch etwas mongolisches Blut in unseren Adern.»
Yasi Ana sog an dem Strohhalm in ihrem Cocktailglas. «Aber reden wir nicht nur von mir. Was ist mit Ihnen?»
«Mein Leben ist bei weitem nicht so spannend wie Ihres. Ich bin in einem kleinen Dorf im Münsterland geboren.»
«Jedes Leben ist spannend.» Die Chinesin griff nach Bastians Hand und drückte sie. «Wir sollten uns duzen, findest du nicht?»
«Gerne.» Vielleicht sollte ihn jemand kneifen, damit er sicher sein konnte, nicht zu träumen. «Ich heiße Bastian.»
«Yasi.» Sie kicherte und hob ihr Glas. «Ihr Deutschen seid manchmal sehr kompliziert.»
«Wie meinst du das?»
«Ihr schleicht herum wie Katzen um die heiße Milch.»
Fragend sah Bastian sie an. Meinte sie den sprichwörtlichen heißen Brei?
«Wenn ihr jemanden toll findet», fuhr sie fort, «versucht ihr, es zu verbergen. Ihr hofft auf Zufälle und Gelegenheiten, und selbst dann seid ihr spröde wie Reispapier.»
Bastian schluckte. «Und du denkst, ich steh auf dich?»
«Ja. So wie du mich angeschaut hast – im Sektionssaal.»
«Du bist eine schöne Frau. Ich war …», Bastian fiel kein besseres Wort ein, «… fasziniert.»
«Na klar.» Yasi lachte. «Die Frau, mit der du gekommen bist, ist auch schön.»
«Susanne?»
«Und sie mag dich.»
«Das hast du gleich gemerkt?»
«Ich bin eine Frau.» Yasi nahm den Strohhut ab und fächelte sich Luft zu. «Ich habe Fühler für solche Schwingungen.»
«Susanne ist eine Kollegin. Das ist etwas anderes.»
«Findest du? Bin ich nicht auch eine Art Kollegin?»
War das echt? Machte sich die Frau Dr. Rechtsmedizinerin über ihn lustig? War er zu blöd, den Hintersinn zu bemerken, die versteckte Absicht, ihn hereinzulegen? Oder machte ihn Yasi gerade ganz direkt an? Und warum, verdammt noch mal, sollte er nicht darauf eingehen?
«Nein», sagte Bastian. «Du bist keine Kollegin. Du bist eine Erscheinung aus einer anderen Welt.»
Yasi kicherte. «Erscheinungen schwitzen nicht, wenn es warm ist.»
Vielleicht war sie ja wirklich eine Frau aus Fleisch und Blut.
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Drei
Professor Weigold konnte sich nicht auf die Doktorarbeit konzentrieren, die er begutachten sollte. Im Minutenrhythmus blickte er aus dem Fenster seines privaten Arbeitszimmers. Jenseits der staubtrockenen Maisfelder schlängelte sich die Landstraße am Fuß der Baumberge entlang, weiter hinten war der Zwiebelturm von St. Martinus in Nottuln zu sehen. Weigold hielt Ausschau nach einem Auto, das am Straßenrand geparkt war. Er hatte den Wagen in den letzten Tagen häufiger in der Nähe seines Hauses gesehen. Einmal war er daran vorbeigefahren. Auf den Vordersitzen saßen zwei junge Männer, die ihn demonstrativ ignorierten. Einen der beiden, einen Langhaarigen mit fettigen schwarzen Haaren, glaubte er wiedererkannt zu haben, der lungerte nämlich seit kurzem immer dann vor dem Pharmakologischen Institut in Münster herum, wenn er sein Büro verließ. Auch
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