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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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heute hatte der Typ wieder auf dem Parkplatz auf ihn gewartet.
    Weigold nahm das Fernglas vom Schreibtisch und suchte die Halteplätze unter den Bäumen ab. Das kleine Taschenfernglas, das ihm seine Frau zu Weihnachten geschenkt hatte, war inzwischen sein ständiger Begleiter. Anfangs hatte er sich noch eingeredet, dass die Burschen es nicht unbedingt auf ihn abgesehen haben mussten, doch mittlerweile gestand er sich ein, dass so viele Zufälle mit jeder Wahrscheinlichkeitsrechnung kollidierten.
    Vollends in Panik geraten war er allerdings erst heute, als er vom Tod Mergentheims hörte. Die Polizei gehe von einem Selbstmord aus, setze die Ermittlungen jedoch fort, hieß es. Allein die Formulierung bot jede Menge Interpretationsspielraum. Und Mergentheim war kein Mensch, der Selbstmord beging. Es war zwar schon einige Zeit her, dass Weigold den Bankier getroffen hatte, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass dessen kraftstrotzende, lebenslustige Art sich inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt hatte. Nein, an Mergentheims Tod war etwas faul.
    Der Professor stand auf und ging in die Küche, wo seine Frau Karin die Reste des Abendessens beseitigte. «Ich gehe noch mal mit dem Hund raus.»
    «Du warst doch eben erst.»
    «Dann gehe ich eben ein zweites Mal», sagte er barscher, als er beabsichtigt hatte. «Max freut sich.»
    Wie zur Bestätigung sprang der Foxterrier aus seinem Körbchen und wedelte mit dem Schwanz, als er das Geräusch der Hundeleine hörte.
    Karin guckte besorgt. «Was ist los?»
    «Nichts. Gar nichts. Ich bin ein bisschen nervös. Stress. In der Uni. Das Übliche.» Er klinkte die Leine in das Hundehalsband und ließ sich von Max zur Haustür ziehen, bevor Karin weitere Fragen stellen konnte.
    Von dem Haus am Rand der Baumberge, das sie seit zehn Jahren bewohnten, waren es nur wenige hundert Meter bis zum Wald. Als er den Fußweg erreichte, der über den Höhenrücken der Hügelkette verlief, ließ Weigold den Hund von der Leine. Max raste los, einem echten oder eingebildeten Kaninchen hinterher. Menschen waren weit und breit nicht zu sehen. Der Professor folgte dem Foxterrier in gemächlichem Tempo. Er versuchte, sich zu entspannen, das Gefühl der Beklemmung in der Brust durch regelmäßiges, tiefes Atmen abzubauen. Karin merkte, dass mit ihm etwas nicht stimmte, aber was sollte er ihr sagen? Vielleicht hatte es ja gar nichts mit der alten Geschichte zu tun, vielleicht spielten die beiden jungen Männer, die ihn beobachteten, einfach nur ein Spiel mit ihm. Mobbing war doch heutzutage in Mode, das Internet quoll über davon. Allerdings versteckten sich diejenigen, die in öffentlichen Foren über ihre Lehrer, Professoren oder Arbeitgeber herzogen, zumeist hinter Phantasienamen. Die beiden Burschen gingen einen Schritt weiter. Das musste jedoch nicht bedeuten, dass sie ihm ernsthaft schaden wollten, möglicherweise sahen sie es schon als Erfolg an, ihn verunsichert zu haben. Wahrscheinlich hatten die Typen bei ihm studiert, und er hatte sie ungerecht behandelt. So etwas kam vor. Wie sollte er sich an all die tausend Studenten erinnern, die bei ihm eine Vorlesung oder ein Seminar besucht hatten? Und falls es so war, falls sich das Ganze als kleinlicher Racheakt entpuppte, würde der Spuk hoffentlich bald ein Ende finden.
    Der Gedanke beruhigte ihn. Er erschien ihm so logisch, dass er sich wunderte, warum er nicht früher darauf gekommen war. Und er gab ihm den Mut, den einzigen Menschen anzurufen, mit dem er offen über Mergentheims Tod reden konnte, jetzt, wo ihm die Angst nicht mehr aus allen Poren kroch.
    Weigold aktivierte sein Handy und wählte die Nummer seines Freundes. Zumindest sah er Ulrich Vogtländer noch als Freund an. Ob der das umgekehrt auch so empfand, wusste er nicht. Seitdem Vogtländer auf Spitzbergen lebte, hatte er nach und nach alle Brücken zur Vergangenheit gekappt. Mittlerweile war ihr letztes Telefonat über ein Jahr her.
    Unter das Tuten mischte sich ein Rauschen und Pfeifen, als ginge das Signal nicht ins nördlichste Europa, sondern gleich zur internationalen Raumstation.
    «Christian!», schrie Vogtländer. «Das ist ja eine Überraschung.»
    Weigold hörte Gläserklirren und Stimmen, die sich mit knurrigen Kehllauten etwas zuriefen. «Wo bist du?»
    «In Barentsburg. Einen russischen Forscherkollegen besuchen.»
    Weigold wusste, dass Barentsburg eine alte russische Bergbausiedlung war. Die Russen hatten den unrentablen Außenposten auf Spitzbergen nicht geräumt, weil

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