Muensters Fall - Roman
Ihnen alles erzählt hat?«, bemerkte Münster.
Mauritz Leverkuhn stand einige Sekunden lang unschlüssig da.
»Ihre Mutter hat es gewusst, nicht wahr?«
Er antwortete nicht.
»Ist sie nach Hause gekommen, als Sie dabei waren, oder ist sie auf Sie gestoßen, als Sie raus wollten?«
Ein Pfennig für seine Gedanken, dachte Münster. Wann bricht er endlich zusammen?
»Ich glaube, es gibt da einiges, was Sie nicht wissen«, fuhr Münster fort. »Von dem, was später passiert ist, meine ich.«
Mauritz Leverkuhn starrte ihn aus blanken Augen an. Dann setzte er sich wieder.
»Und was zum Beispiel?«, fragte er.
»Frau Van Eck zum Beispiel«, sagte Münster. »Haben Sie sie auch in dieser Nacht gesehen, oder hat nur Frau Van Eck Sie gesehen? Das frage ich, weil ich es nicht weiß.«
»Sie wissen gar nichts«, sagte Mauritz Leverkuhn.
»Dann darf ich ja wohl spekulieren«, sagte Münster. »Aber eigentlich eher aus akademischem Interesse. Frau Van Eck sah, wie Sie im Kolderweg ankamen und Ihren Vater töteten. Sie erzählte das einige Tage später Ihrer Mutter, da bin ich mir zwar nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich hat sie ihre Kenntnisse in irgendeiner Weise nutzen wollen. Vielleicht ganz einfach, um Geld zu machen. Ihre Mutter hat in einer Art reagiert, wie sie es nie erwartet hat. Indem sie sie umbrachte.«
Er machte ein paar Sekunden lang eine Pause, aber Mauritz Leverkuhn hatte keinen Kommentar beizusteuern. Er hat das gewusst, dachte Münster.
»Sie hat die Hausmeistersfrau getötet. Dann brauchte sie ein paar Tage, um den Körper zu zerteilen und wegzuschaffen. Danach, als alles klar war, nahm sie den Mord an Ihrem Vater auf sich, damit wir aufhören sollten zu suchen und Sie davonkommen konnten ... eine kaltblütige Frau, Ihre Mutter. Äußerst kaltblütig.«
»Sie spinnen ja«, sagte Mauritz Leverkuhn zum zweiten Mal.
»Sie konnte natürlich nicht den Mord an Else Van Eck gestehen, weil sie dafür kein Motiv angeben konnte. Wie Sie sehen, hängt alles zusammen. Ich glaube, Sie stimmen mir da zu? Sie begeht einen Mord und gesteht einen anderen. Vielleicht gibt es da eine Art moralischer Balance. Ich kann mir denken, dass sie so etwas in der Art gedacht hat.«
Mauritz Leverkuhn murmelte etwas und schaute auf seine Hände. Münster betrachtete ihn eine Weile schweigend, bevor er weitersprach. Jetzt muss er doch bald weich werden, dachte er. Ich stehe es nicht durch, das Ganze noch mal im Polizeirevier durchzuziehen. Das schaffe ich einfach nicht.
»Ich bin mir nicht sicher, warum sie sich in der Zelle das Leben genommen hat«, sagte er. »Aber in dieser Hinsicht ist sie ja nicht schwer zu verstehen. Vielleicht ist es überhaupt nicht schwer, ihr Handeln an sich zu verstehen. Sie hat Ihren Mord an Ihrem Vater gedeckt, und sie hat einen anderen Menschen ermordet, um Sie weiter zu decken. Sie hat viel für Sie getan, Herr Leverkuhn.«
»Sie trug eine Schuld.«
Münster wartete, aber es kam nicht mehr.
»Eine Schuld für das, was Ihr Vater mit Ihren Schwestern gemacht hat, meinen Sie das? Weil sie es hat geschehen lassen?«
Plötzlich ballte Mauritz Leverkuhn seine Hände und schlug auf die Armlehnen des Sessels ein.
»Verflucht noch mal!«, sagte er. »Er hat Irene krank gemacht, und sie hat nicht eingegriffen! Begreifen Sie nicht, dass er den Tod verdient hat? Dieses verdammte Schwein! Ich würde es wieder machen, wenn ich könnte ... Ich war auch bereit, es auf mich zu nehmen. Ich hätte es machen sollen, deshalb ...«
Er verstummte.
»Deshalb hat sie sich das Leben genommen?«, fragte Münster. »Weil Sie gestehen wollten?«
Mauritz Leverkuhn erstarrte für eine Sekunde. Dann sank er zusammen und nickte schwach. Münster holte tief Luft und schloss die Augen. Öffnete sie wieder, und betrachtete die zusammengesunkene
Gestalt im Sessel gegenüber und versuchte sich klarzumachen, was er eigentlich für diesen Mann empfand.
Einer dieser Verlierer, konstatierte er. Noch einer.
Auch er musste ja schon seit seiner Kindheit gezeichnet gewesen sein, auch wenn es bei ihm nicht das Ausmaß angenommen hatte wie bei seiner geliebten Schwester.
Dieses verfluchte, unabänderliche Muttermal, das nicht wegzuoperieren war. Das man nie verbergen und mit dem man sich nie aussöhnen konnte.
Und diese verfluchte, sinnlose Bosheit, dachte Münster. Die immer nur tötete, tötete, tötete. Doch, er tat ihm Leid. Das hätte er vor einer Stunde noch nicht für möglich gehalten, aber jetzt war es
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