Muensters Fall - Roman
ich rate da nur. Ich habe noch nie sechzehn umgedrehte Karten erlebt.«
»Wir schreiben das auf und gucken später nach«, sagte Ruth Leverkuhn. »Ich möchte jetzt lieber noch ein bisschen Wein trinken und Liebe machen.«
Elaine Vorgus dachte eine Weile lächelnd nach. Dann hob sie das Glas und ließ ihre Zunge ein paar Runden über die Lippen laufen.
»Dein Wille ist mir Befehl«, lachte sie. »Wo wollen wir anfangen? Vielleicht im Bad, ich glaube, das würde mir gefallen. Ich muss nur erst noch dieses Gespräch führen, aber dann ...«
»Das Bad ist gut«, entschied Ruth Leverkuhn. »Ja, ich will dich bei mir in der Badewanne haben. Notiere die Karten und telefoniere, dann gehe ich schon einmal vor. Ich warte auf dich.«
Im Badezimmer blieb sie stehen und betrachtete ihren ausladenden Körper im Spiegel. Hob die schweren Brüste und saugte ein paar Sekunden an jeder Brustwarze. Strich sich vorsichtig mit einem Finger zwischen den Beinen entlang, um ihre Sehnsucht bestätigt zu fühlen.
Dann tauchte ihr Bruder wieder in ihren Gedanken auf, und sie nahm die Hände in neutralere Regionen hoch.
Der arme Mauritz, dachte sie. Armer Dummkopf. Sie seufzte und hüllte sich in ein Badelaken. Dachte noch eine Weile über ihn nach, während sie mechanisch und etwas geistesabwesend die Parfümflaschen auf der Ablage unter dem Spiegel ordnete und einen Badezusatz aussuchte.
Was hatte es für einen Sinn, etwas zu gestehen, das man gar nicht getan hatte?
Die Frage surrte jetzt schon seit ein paar Tagen in ihrem Kopf herum. Beunruhigte sie und hatte sich festgebohrt. Warum konnte er stattdessen nicht einfach zugeben, dass er ein Feigling war, der Mauritz? Ein schwacher, verzweifelter Mensch, der niemals so eine Sache hätte fertig bringen können? Unter gar keinen Umständen.
Achtundzwanzig Stiche! Mauritz! Das war doch lächerlich. Wer ihn auch nur ein ganz klein wenig kannte, würde sofort sagen, dass das ein absolutes Ding der Unmöglichkeit war.
Aber es gab ja niemanden, der ihn kannte. Niemanden außer ihr. Deshalb war es vielleicht doch nicht so erstaunlich. Nach
ein paar Tagen hatte sie das eingesehen. Dass er die Tat auf sich nehmen würde und man ihm glaubte. Es gab dabei eine Art Logik. Eine schiefe und etwas verdrehte Logik, die aber trotzdem funktionierte.
Aber wieso er sich ein gleiches Messer beschafft hatte, nachdem sie das richtige losgeworden waren, ja, das war zweifellos ein Rätsel. Wenn sie weiter darüber nachdachte, war das eigentlich das Einzige, was sie nicht verstand. Worauf sie sich keinen Reim machen konnte. Er konnte doch wohl nicht mit der Absicht herumgelaufen sein, es zu benutzen. Diesen Polizeikommissar niederzustechen? Dass er es dann tatsächlich gemacht hatte, war eigentlich nur damit zu erklären, dass er auf irgendeine Weise eine plötzliche Sekunde lang von ungeahnter Handlungskraft überfallen worden war. Plötzlich und unerwartet. Wie ein Irrlicht. Genau so.
So war es vermutlich, dachte sie. Das Messer war eine fixe Idee. Der Überfall auf den Polizeibeamten ein Zufall, eine Handlung ohne Plan und Ziel. Dass er es getan haben könnte, um ihr – oder auch Irene auf irgendeine dunkle Art und Weise – zu zeigen, dass er die Kraft doch in sich hatte ... nein, das war zu weit hergeholt. Zu durchdacht. Mauritz konnte nicht in dieser Form planen und etwas durchführen. Vielleicht hinterher etwas konstruieren, aber nicht im Voraus beschließen und dann ausführen. Das hatte er noch nie gekonnt. Das war seine Schwäche.
Als er an diesem Samstag im Oktober in vollkommen aufgelöstem Zustand zu ihr gekommen war, hatte er zwar die ganze Zeit davon geredet, dass er es machen wollte ... dass er gerade alles erfahren hatte und dass er auf dem Weg nach Maardam war, um ihrem Vater das zu geben, was er verdient hatte. Wollte grausame Rache für ihre ganze Kindheit nehmen und ihn ohne Pardon umbringen. Sie hatte ihn gefragt, warum er dann um alles in der Welt zuerst zu ihr gekommen war, und dann hatte es nur noch ein paar Minuten gedauert, bis er auf ihrem Sofa zusammengebrochen war. Dort war er liegen geblieben, schluchzend und bebend.
Und es war der Anblick dieser jämmerlichen Erbärmlichkeit gewesen, der sie den Entschluss hatte fassen lassen. Den Auftrag zu übernehmen. Er hatte nicht einmal versucht zu protestieren. Hatte sie mit Augen angestarrt, die vor Dankbarkeit feucht waren. Vor Dankbarkeit und einer Verzweiflung, verzweifelter Schwäche.
Und diesen Blick hatte sie vor
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