Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Außenseiterin von Geburt an. Ich hatte nichts. Nur Eltern, die anders waren als der Rest. Wo war ich da nur gelandet.
3 Das Müslimädchen wird musikalisch
früherzogen und Klugscheißer. Es verliert
einen Zahn und rächt sich an seinem Vater.
In meiner Straße gibt es einen bilingualen Kindergarten, in dem die Kinder Mandarin lernen. Mandarin! Die kleinen Mädchen und Jungs, die dort von ihren Eltern abgeholt werden, sehen ziemlich biodeutsch aus. Und sie sind vor allem sehr klein, eben wie Kindergartenkinder, aber sie lernen eine der schwierigsten Sprachen der Welt. Weil ihre Eltern das wollen.
Ich frage mich, was man später wird, wenn man schon im Mutterbauch mit Englisch-Vokabeln beschallt wird, als Baby mit Handzeichen kommuniziert und sonntags wahlweise Kinder-Yoga oder Krabbel-Gottesdienste besucht? Vollhorst, meint Martha. App-Entwickler, meint Emil. Marketingchefin der chinesischen Dependance eines Börsenunternehmens, hoffen vermutlich die engagierten Eltern.
Alles falsch. Man wird Klugscheißer. Die Eltern der kleinen Karo-Melittas und Hans-Würstchen sollten sich gut überlegen, ob ihr Kind später wirklich in allem besser sein soll als die anderen, denn niemand möchte mit einem besserwisserischen Arsch befreundet sein.
Meine Eltern waren da zum Glück anders. Sie wollten, dass ich auf Bäume klettere, Feuerkäfer fange, Schatzkisten im Garten vergrabe und Beeren vom Strauch esse. So romantisch! Und so weltfremd. Denn sie hatten etwas übersehen: Sie gehörten zur akademischen Mittelschicht. Und diese Menschen können gar nicht anders als zu fördern, dazu braucht es nicht mal Kinderturnen, Musikschule oder irgendwas mit Kunst.
Später sind sie dann ein bisschen enttäuscht, weil das Kind zuerst Geisteswissenschaften studiert und dann einen Computerjob hat und Rücken, dabei hatten sie doch insgeheim gehofft, es würde einen naturbezogenen Beruf erlernen, in dem es mit eigener Hände Arbeit wunderbare Dinge erschafft. Etwa Schreiner. Oder Landschaftsgärtner.
Dafür sitzen die akademischen Mittelschichtseltern aber zu gerne am Esstisch, lesen sich gegenseitig aus der Zeitung vor und unterhalten sich über ihre Arbeit. Und das Kind hört zu (was soll es auch sonst tun). Und lernt. Was der Appendix ist und wie man ihn am besten entfernt. Dass der Paragraph 32 im Strafgesetzbuch bedeutet, dass man nicht rechtswidrig handelt, wenn man eine Tat begeht, die aus Notwehr geboten ist. Oder, in meinem Fall, dass Dur-Tonarten fröhlich klingen, Moll-Tonarten hingegen traurig.
Meine Eltern sind Musiker. Da wird mit Stimmgabeln gegessen, mit dem Notenschlüssel die Tür aufgemacht und sehr viel Wert auf Takt gelegt. Zum Sonntagsfrühstück gab es Handkäs mit Musik, meistens Mozart oder Bach, und wenn meine Mutter nicht gerade Klavier oder Gesang unterrichtete, bearbeitete mein Vater den Flügel.
In allen Dingen schlief ein Lied und meistens schnarchte es dabei. Meine Mutter pfiff beim Spülen, mein Vater nur, wenn er gute Laune hatte, und weil Musiker auch immer viele Musikerfreunde haben, war immer jemand zu Besuch, der sich darum kümmerte, dass der Lautstärkepegel konstant blieb. Besonders gerne saßen die Musikerfreunde auf dem Klo und schmetterten inbrünstig irgendwelche Arien, derrrr Hölle Rrrrache kocht in meinem Herrrrzen, und wenn sie danach wieder ins Zimmer kamen sagten sie: »Wunderbar, die Akustik bei euch im Bad!«
Die Musik war überall. Und es gab kein Entkommen.
Das lag auch daran, dass unsere erste Wohnung so groß war, wie sie sich mittellose Studenten, die ein Kind erwarten, eben leisten können: klein.
Im Wohnzimmer war geradeso Platz für den schwarz lackierten Flügel meines Vaters, ein speckiges Sofa und ein Ivar-Regal aus Kiefer, in dem sich Bücher und der Plattenspieler befanden. Im Eltern-Schlafzimmer stand nicht nur das Bett, sondern auch das alte Klavier meiner Mutter, das sie auf dem Flohmarkt erstanden hatte, und auf dessen Kerzenleuchter sie besonders stolz war.
Wenn sie darauf Unterricht gab, spielten die Klavierschüler Für Elise, und wenn sie an einer Stelle nicht weiterkamen, klopfte ich rhythmisch mit meinen Bauklötzen auf den handgewebten Wollteppich. Als ich älter war, hörte ich mir stundenlang die Tonleitern und Mi-mi-mis der Gesangsschüler an.
Schlimm, wie sich die Schüler quälten, das hohe C zu erreichen. Zum Beispiel Nele. Sie studierte Mathe und Deutsch auf Lehramt und machte das mit der Musik »nur so zum Spaß« – was man auch
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