Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
schlafen, denn sie hatte in den letzten 24 Stunden ein Kind nach dem anderen auf die Welt geholt, da half nun auch kein Kaffee mehr. Neumond eben. Da werden die Babys im Bauch gerne zappelig.
»Holen Sie mich, wenn Sie mich brauchen.«
»Ehm. Und wann ist das?«
»Das merken Sie schon. Glauben Sie mir.«
Mein Vater machte die Musik an, die sie mitgebracht hatten. Mozart, Konzert für Klavier und Orchester, in C-Dur. Was fürs Herz! Und für den Blutdruck! Dann lasen sie noch ein wenig in dem Babybuch Neun Monate von Bärbel Maiwurm, das 1981 im Frauenbuchverlag erschienen war.
Darin gab es neben Geburtsberichten und Psychotests (»Der richtige Vater für Ihr Kind«) eine hilfreiche Fotostrecke (»Wie verberge ich meinen Zustand? Durch das Tragen eines Pappkartons, der durch breite Hosenträger gehalten, Ihren Zustand bis kurz vor der Niederkunft unauffällig, aber doch wirksam zu kaschieren vermag«) und ein Kapitel über den Zusammenhang zwischen dem weiblichen Zyklus und dem Mond. Außerdem gesellschaftskritische Artikel mit der Überschrift »Ist wirklich Gift in der Muttermilch?« oder »Tötet Nestlé Babys?«. Darin hieß es unter anderem: »Das Süßholzgeraspel, mit dem auch wir von den Babykostherstellern zur Genüge eingedeckt werden, erscheint einem nur noch zynisch angesichts der Tatsache, daß hier skrupellos über Kinderleichen gegangen wird, nur um Profitinteressen durchzusetzen.«
Dazwischen war Platz für persönliche Notizen, was meine Mutter ganz offensichtlich nicht mit dem nötigen Ernst erledigt hatte. »Man kann die Füßchen richtig deutlich sehen und von außen dagegen drücken, dann geht’s weg und kommt an einer anderen Stelle wieder raus. Hihi, jetzt können wir unseren Knirps schon an den Füßen kitzeln und ein bisschen ärgern!«
Ja, haha. Während sie sich so die Wehenpausen vertrieben, verging die Nacht, und draußen begann es zu schneien.
Mama:
Klar tut eine Geburt weh, aber niemals würde ich so rumbrüllen wie die Frau im Nebenzimmer. Die hat mir richtig Angst gemacht, eine Frechheit ist das. Also ich hab mich ja zurückgehalten – was sollen die anderen Mütter sonst denken! Ich hab mich auf die Musik konzentriert und geatmet, und dann kamst du auch schon.
Als grade mal dein Kopf draußen war, hast du schon angefangen zu schreien, da hab ich gedacht: Das Kind macht später was mit Gesang, genau wie ich. Es hat auch niemand geredet, sodass ich schon dachte, es wäre was nicht in Ordnung, dabei haben sie nur gewartet, bis ich etwas sage. Ein Baby soll nämlich als Erstes die Stimme von seiner Mutter hören. Wegen der Bindung.
Als du dann auf meinem Bauch lagst und ich gefragt habe, was es denn ist, da hat die Hebamme gesagt: ein Mädchen. Da war ich ganz baff, weil ich während der Schwangerschaft dreimal geträumt habe, dass ich einen Bub bekomme. Und dann so was, das war schon verrückt. Aber was soll man von einem Aprilscherz auch erwarten.
Papa:
Als du da warst, hab ich als Erstes nachgezählt, ob auch alles dran ist. Zehn Zehen, zehn Finger. Ist vielleicht die Pianistenehre. Dann hat die Mama gefragt, was es ist, und die Hebamme hat gesagt: ein gesundes Mädchen. Dass du gesund bist, war das Allerwichtigste, alles andere war eigentlich egal.
Hebamme:
Scheiß Neumond.
Nachdem die Geburt vorbei war, und ich die Brust, eine Abreibung und eine Stoffwindel bekommen hatte, sollte ich in mein Bettchen gelegt werden. Nur war leider keins mehr frei. In den sieben Betten lagen schon sieben Zwerge. Was war ich, etwa Schneewittchen?
Da hatte die Hebamme eine Idee. Sie hatte doch noch den alten Stubenwagen aus geflochtenen Weidenzweigen, in dem schon ihre eigenen Kinder gelegen hatten. Er war zwar alt, aber zweckgemäß. Sie schob ihn neben die anderen Bettchen und legte mich hinein. Ohne Armband. Brauchte ich ja nicht, wer sollte mich schon verwechseln.
»So war das nämlich«, sagte ich zu Nora. »Ich hatte als Einzige einen Stubenwagen.«
»Hm.«
»Und weißt du was, der Stubenwagen hatte sogar einen Himmel!«
Wir wollten später mal Prinzessinnen werden, was sich bislang aber auf das Malen von ebensolchen beschränkte. Außerdem taten meine Eltern alles, um das zu verhindern, indem sie mich in karierte Hemden und Latzhosen steckten. Aber ein Himmelbett, das war ja wohl ziemlich prinzessinnenhaft. Oder?
»Hm.«
»Und ich bin an einem Sonntag geboren!«
»Ja, aber du hast trotzdem kein Armband.«
So einfach war das. Keine Prinzessin, kein Armband,
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