Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Kulturraum dominiert. Das Prinzip â¹Ein Staat â eine Nation â ein Volk â eine Sprache⺠hat in Europa lange Schatten geworfen und dient auch heute noch politischen Zwecken. Auf dem Balkan, aber auch in manchen modernen Staaten Westeuropas, kann man die Folgen dieser einseitigen Perspektive bis heute besichtigen (Haarmann 2012).
Erst im Zuge der neuen Globalisierung, ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hält die Erkenntnis endgültig Einzug, dass die Geschichte der Sprachen vor allem eine Geschichte ihrer Kontakte ist und dass Sprachveränderung ein Phänomen ist, dashauptsächlich durch Kontakt und Konflikt von Sprachen (und Sprechern) angetrieben wird. Der amerikanische Kontaktlinguist und Kreolsprachenforscher Salikoko Mufwene drückt das Prinzip so aus: «I contend that the ecological factors and selective restructuring which produced creoles are of the same kind as those which produced â¹normal⺠language change. Contact, I argue, is a critical factor in almost any case of language change » (1998, 316f.; kursiv U. H.).
Am eindringlichsten gestalteten sich die Sprachkontakte und ihre Wechselwirkungen in den oft viel intensiveren Kontaktzonen auÃerhalb von Europa. Als sich die europäischen Sprachen am Beginn der Neuzeit in die Welt aufmachten und den halben Globus kolonisierten, drückten sie Hunderten von Pidgins und Kreolsprachen ihren Wortschatz-Stempel auf: in der Karibik, in China, Indonesien und in Afrika. In diesen verbindet sich ein europäischer Wortschatz mit einer fremden, radikal vereinfachten Grammatik, und es zeigt sich, dass die Verständigung nicht nur nicht beeinträchtigt ist, sondern die Kommunikation vollkommen reibungslos funktioniert.
Sprachkontakt â ein neues Paradigma der Linguistik
Kontakt ist der Motor allen Sprachwandels: Von dieser neuen Perspektive zeugen relativ junge Disziplinen wie die Sprachtypologie, Kontaktlinguistik oder Kreollinguistik und groÃe Projekte, die die Sprachen der Welt (und ihre Kontakte) insgesamt in den Blick nehmen. Die Highlights auf diesem neuen Horizont sind:
das Projekt EUROTYP aus den 1990er Jahren, dessen Leiter, der Berliner Anglist Ekkehard König, mit über einhundert Linguisten aus über zwanzig Ländern etwa einhundertfünfzig Sprachen auf Gemeinsamkeiten hin durchleuchtete;
der World Atlas of Language Structures von 2005, in dem unter der Ãgide der Leipziger Typologen Bernard Comrie und Martin Haspelmath am Max-Planck-Institut der gesamte Globus nach ähnlichen Sprachstrukturen durchgescannt wurde;
die Weltgeschichte der Sprachen von den Anfängen bis in die Gegenwart , in der der in Helsinki wirkende Linguist Harald Haarmann u.a. den Reichtum und die Macht von Sprachkontakten all over the world zeigt.
Vorbereitet und begleitet wurden diese Trends durch anspruchsvolle Handbuchprojekte, die die Disziplinen in groÃem MaÃstab darstellen oder zusammenfassen.[ 1 ] Wir können mit Haarmann resümieren: «Kontakte zwischen Sprachen und deren Sprechern sind Realitäten, die unsere Kulturgeschichte und damit unser kulturelles Gedächtnis seit jeher geprägt haben. (â¦) Sprachkontakte sind keine Begleiterscheinung sprachlicher Realitäten, sie konstituieren diese Realitäten schlechthin. (â¦) In den Sprachen Europas sind so gut wie sämtliche Manifestationen von Sprachkontaktphänomenen nachzuweisen, die sich in einer allgemeinen Typologie unterscheiden lassen, angefangen von einfachen lexikalischen Interferenzen bis hin zu komplexen Fusionsprozessen, ja sogar bis zur Ausbildung neuer Sprachsysteme, und zwar von Pidgins.»[ 2 ]
Dies ist unsere Leitlinie: Die entscheidenden Wandlungsprozesse in der Sprachenwelt Europas lassen sich zum ganz überwiegenden Teil nicht nur auf eine multilinguale Situation zurückführen, sondern oft auch durch einfache Sprachkontakt-Mechanismen (â¹Interferenzenâº) erklären. Hierfür stehen drei allgemeine neue Forschungsfelder der Linguistik, die die groÃe Kulisse abgeben für die neuen Sprachveränderungen im Deutschen: Angetrieben und gesteuert von Sprachkontakten
wandeln sich alle Sprachen Europas mit der Zeit allmählich zu Sprachen, die eine zu komplizierte Grammatik abbauen und durch einfachere Strukturen ersetzen (s. Hinrichs 2004). Der Westen Europas ist hier progressiver, der Osten konservativer. Das moderne Musterbeispiel ist das Englische;
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