Von Zweibeinern und Vierbeinern
Kapitel 1
Als das Tor auf mich fiel, wußte ich, daß ich wieder zu Hause war.
Meine Gedanken wanderten mühelos zurück, über die Zeit hinweg, die ich bei der Royal Air Force verbracht hatte, zu meinem letzten Besuch bei den Ripleys. Ich sollte ein paar »Kälber beschnippeln«, wie Mr. Ripley am Telefon gesagt hatte. Mit anderen Worten, ich sollte sie mit Hilfe des unblutigen Burdizzo-Kastrators entmannen. Als die Botschaft mich erreichte, war mir klar, daß ein großer Teil des Morgens darüber vergehen würde.
Ein Besuch bei den Ripleys hatte etwas von einer Safari, denn Anson Hall, ihr Haus, lag am Ende eines von tiefen Furchen durchzogenen und durch nicht weniger als sieben Tore führenden Pfades, der sich durch die Felder wand.
Diese Gattertore waren einer der Flüche im Alltag eines Tierarztes, und wir in den Yorkshire Dales litten, bevor die elektrischen Viehzäune aufkamen, besonders darunter. Wir hatten uns damit abgefunden, daß wir auf vielen Farmen zwei oder drei solcher Tore öffnen mußten, aber sieben – das war zuviel. Und bei den Ripleys ging es zu allem Unglück nicht nur um die Zahl der Tore, sondern auch um ihren beklagenswerten Zustand.
Das erste, dicht an der Landstraße gelegen, war noch einigermaßen passabel – ein uraltes Ding aus rostigem Eisen. Als ich den Riegel zurückschob, schwang es, in den Angeln quietschend, freundlich auf. Es sollte das einzige bleiben, das von allein aufschwang, denn die anderen waren aus Holz und von der Sorte, die in den Dales »Schultergatter« genannt wird. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie zu diesem Namen gekommen waren, als ich sie jetzt der Reihe nach hochhievte und, die obere Latte auf der Schulter balancierend, aufschob. Sie hatten keine Angeln, sondern waren an der einen Seite oben und unten mit Bindfaden festgebunden.
Schon bei einem gewöhnlichen Gatter war das Öffnen ziemlich zeitraubend: man mußte mit dem Auto anhalten, aussteigen und das Ding hinter sich wieder schließen. Aber der Weg nach Anson Hall war ein hartes Stück Arbeit. Je mehr ich mich der Farm näherte, um so schlimmer war der Zustand der Tore, und ich keuchte vor Anstrengung, als ich das letzte Stück Wegs entlangholperte und auf Tor Nummer sieben zuratterte.
Es war das letzte und das fürchterlichste – ein bösartiges Ding mit einem eigenen, üblen Charakter. Jahrzehntelang war es immer wieder repariert und mit so viel Holz ausgebessert worden, daß von dem ursprünglichen Tor vermutlich kein Stückchen mehr vorhanden war. Aber es war gefährlich.
Ich stieg aus dem Wagen und ging ein paar Schritte darauf zu. Wir waren alte Widersacher, das Tor und ich, und so sahen wir einander eine Zeitlang schweigend an. Wir hatten in der Vergangenheit ein paar flotte Runden miteinander ausgetragen, und es bestand kein Zweifel, daß mein Gegner nach Punkten vorn lag.
Die Schwierigkeit lag darin, daß dieses Tor, abgesehen von seiner wackligen allgemeinen Beschaffenheit, nur an einer einzigen Stelle, in der Mitte, mit einer Strippe befestigt war.
Mit äußerster Vorsicht näherte ich mich ihm und machte mich daran, die Schnur, mit der es rechts zugebunden war, zu lösen. Diese Schnur war, wie ich erbittert feststellte, zu einem ordentlichen festen Knoten gebunden, und als ich ihn endlich gelöst hatte, griff ich hastig nach der oberen Latte. Aber es war bereits zu spät. Als ob es lebendig wäre, schwang der untere Teil auf mich zu und schlug mir grausam gegen die Schienbeine, und als ich nach der oberen Latte griff, um das Tor wieder ins Gleichgewicht zu bringen, donnerte mir der obere Teil gegen die Brust.
Es verlief alles genauso, wie es immer verlaufen war. Während ich es vorsichtig Zentimeter um Zentimeter aufschob, bekämpfte es mich und stieß mich oben und unten – ich war für dieses Tor nicht der richtige Gegner.
Und noch etwas anderes machte mir zu schaffen. Mr. Ripley stand in der Tür des Farmhauses und beobachtete mich wohlwollend. Und während ich mich abrackerte, stiegen zufriedene Rauchwölkchen von seiner Pfeife empor. Er rührte sich nicht von seinem Platz, bis ich über das letzte Stückchen Gras gestolpert war und vor ihm stand.
»So, Mr. Herriot, da sind Sie also gekommen, um mir ein paar Kälber zu beschnippeln.« Ein aufrichtiges freundliches Lächeln zog seine stoppligen Wangen in Falten. Mr. Ripley rasierte sich nur einmal in der Woche – am Markttag. Da ihn an den übrigen sechs Tagen nur seine Frau und sein Vieh zu sehen bekamen, brauchte
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