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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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Thüringen oder koreanische Krankenschwestern in Frankfurt. Und natürlich hat die Mehrsprachigkeit viele Gesichter: In Sachsen wird auch Sorbisch, in Schleswig-Holstein Dänisch, im Saarland Französisch gesprochen. Und Englisch können heute fast alle, mehr oder weniger. Hinzu kommt noch, dass man in Deutschland ohnehin alle paar Hundert Kilometer ein anderes Deutsch spricht: Die einzigartige Vielfalt an Dialekten bewirkt so etwas wie eine ‹innere Mehrsprachigkeit›.
    Aber wie man es auch drehen will – wenn man wirklich redlich ist, kommt man letzten Endes um eine entscheidende Erkenntnis nicht herum: Erst «durch die Anwesenheit der Gastarbeiterschaft ist die Bundesrepublik zu einem mehrsprachigen Land geworden. Dies ist für die deutsche Gesellschaft eine neue Erfahrung .» (Stölting 1980) Alles, was an Migration und Immigration vor circa 1960 war, verblasst vor einer nun einsetzenden neuen Realität, die eine ganz neue Dynamik entfaltet. Die Anzahl der in denGroßstädten gesprochenen Sprachen und Dialekte nähert sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts der 200er-Marke. Damit ist Mehrsprachigkeit als solche die Regel. Sie verzweigt sich in Tausende von Varianten und nimmt oft noch Dritt- und Viertsprachen hinzu. Sie ist mittlerweile zu einem eigenen Modus des kommunikativen Existierens geworden und prägt nahezu jedes urbane Milieu.
    Die Vielfalt der Sprachen in Deutschland ist heute bereits unübersehbar; es gibt aber so etwas wie eine gefühlte Präsenz und Dominanz bestimmter Sprachen. Der aktive Kern des neuen Sprachenpools enthält Türkisch, Arabisch, Russisch, Serbokroatisch/Jugoslavisch, Albanisch und Polnisch, neuerdings kommen vermehrt Balkansprachen wie Bulgarisch und Rumänisch hinzu. Sprachen wie Italienisch oder Griechisch mögen zwar präsent sein, spielen aber für den akuten Sprachwandel des Deutschen keine wirklich entscheidende Rolle mehr. Insgesamt haben wir eine Situation, die für Deutschland vollkommen neu ist. Die Sprachkontakte in Deutschland sind sowohl extensiv (Anzahl) als auch intensiv, d.h. von durchgängiger Mehrsprachigkeit geprägt, jedenfalls in den Ballungszentren. Undenkbar, dass sich dies nicht auf allen sprachlichen Ebenen auswirkt.
Sprachkontakt wirkt auf allen sprachlichen Ebenen
    Wie schon angedeutet, hat die Forschung inzwischen bewiesen, dass alle Bereiche einer Sprache dem Einfluss von Sprachkontakt unterliegen und durch ihn umgestaltet werden können. Kein Bereich ist resistent. «Dies betrifft sämtliche Ausdrucksmittel (z.B. Wortbildungsmuster oder lexikalische Elemente), alle Sprachtechniken (z.B. Regeln zur Konstituierung grammatischer Paradigmen, syntaktische Strategien) und auch das Lautsystem » (Haarmann 2010).
    Auf den ersten, groben Blick spiegelt das gesprochene Deutsche – wie vermutet – auf allen Ebenen den Einfluss von Mehrsprachigkeit und Migrantensprachen wider. Dies beginnt bei neuen Wörtern ( Döner, Ayran, Muslima, Hamam, Ramadan ), geht über das Kasus- und Endungs-Karussell ( mit den Motiv, die Bedeutung Deutschland_, wir fahren im Urlaub ), über neue Wortmuster ( privates Leben statt Privatleben ) über etliche Verschleifungen in der mündlichen Rede ( st a rkere Argumente ) bishin zur Bildung von ganzen Slangs (‹Kiezdeutsch›). Wir werden sehen, dass die Wortebene (die Morphologie) und der Satzbau (die Syntax) am ehesten, schnellsten und nachhaltigsten von Einflüssen betroffen sind.
    Sprachkontakte und Mehrsprachigkeiten sind heute in der Alltagspraxis europäischer Länder, und ganz besonders in Deutschland, selbstverständlich und normal. Sie haben aber nicht nur eine äußerliche, quasi hörbare , Seite, sondern auch eine innere, psychische und kognitive Seite: Sie erzeugen schon nach kurzer Zeit ein anderes Sprachbewusstsein. Es ist dieses von Mehrsprachigkeit geprägte neue Sprachbewusstsein , das grammatischen Veränderungen mächtig Vorschub leistet. Diese neue Mehrsprachigkeit aber ist ein Kind der Migration.
2. MIGRATION
    Â«Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte von Migrationen, vom Auszug aus Afrika vor hunderttausenden von Jahren über die Ausbreitung der Indogermanen und die Besiedlung des amerikanischen Kontinents durch die Ureinwohner über die Kolonialgeschichte bis zu den heutigen Arbeitsmigrationen und Flüchtlingsströmen» (Lüdi 2011). «Eine gewaltige ethno-kulturelle

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