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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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Städte herausgebildet, an denen Sprachkontakte wie auf dem Präsentierteller untersucht werden könnten: Die Vielvölkergemische Österreich-Ungarn und der Balkan, Venedig und die Schweiz waren und sind die großen europäischen Ausstrahlungszentren; aber auch am Beispiel des bosnischen Sarajevo, des griechischen Thessaloniki oder im ukrainischen Lemberg kann quasi an Musterbeispielen studiert werden, wie viele verschiedene Sprachen (und Kulturen) zusammenleben und welche Auswirkungen das auf die Sprachenwelt hat.
    Die Türken haben nach ihrer 500-jährigen Herrschaft auf dem Balkan den Balkansprachen ein reiches Erbe an Lehnwörtern des Alltags hinterlassen, die noch heute Küche, Haushalt und Kleidung prägen, z.B. in Makedonien oder Albanien. Das Spanische und Französische üben schon lange auf das Baskische nachhaltigenDruck aus. Und das Russische prägt bis heute als eine Lingua Franca eigener Art das Sprachbewusstsein der finnisch-ugrischen Minderheiten in der Region, aber auch das der Kasachen, der Litauer oder der Tadschiken.
    Die Linguistik benennt auch Sprachen, deren Wortschatz geradezu ein archäologisches Museum der Sprachkontakte ist; hierunter zählen das Englische, das Albanische, das Rumänische, die ganze Wortschatzschichten übereinander getürmt haben, die wie Baumringe von verschiedenen Herrschaftsperioden und Sprachkontakten Zeugnis ablegen. Ganze Einzelsprachen sind überhaupt erst durch Sprachkontakte entstanden, so z.B. das Jiddische in Osteuropa, das ein Amalgam aus Hebräisch, Slavisch und Deutsch ist.
    Die moderne Soziolinguistik der Sprachen Europas untersucht heute – nicht zufällig in Zeiten, in denen sich Europa und sein Wertebewusstsein in einer kritischen Phase befinden – alle sozialen, linguistischen und kulturellen Mechanismen, denen die Minderheitensprachen ausgesetzt waren oder sind, und nimmt hier kein Blatt vor den Mund. Als Faustregel gilt: «Je größer das soziokulturelle Gefälle zwischen Sprachen ist, desto stärker übt die dominante Sprache einen assimilatorischen Druck auf andere Medien aus. (…) In welchem Ausmaß Interferenzen [d.h. Überschneidungen und Übernahmen, U. H.] wirksam werden und die Strukturen der Sprachen modulieren, die im Kontakt stehen, hängt von der Intensität des Kontakts ab.» (Haarmann 2010 a) Auch das gesprochene Deutsche steht heute mit seinen vielen Migrantensprachen in einem engen, intensiven Kontakt, zumindest in den Ballungszentren. Zu erwarten sind also Einflüsse und Spuren vielfältigster Art.
Der Wind hat sich gedreht?
    Haben die großen europäischen Sprachen in früheren Zeiten, in Europa wie in ferneren Weltregionen, eine Unzahl von Clashes ausgelöst, hat sich heute der Spieß offenbar umgedreht. «Die Sprachkontakte in Europa haben sich mit dem Zustrom von Migranten aus anderen Teilen der Welt intensiviert, und das Spektrum der Kontaktbedingungen hat sich erweitert. Heutzutage stehen afrikanische Sprachen mit dem Englischen, Französischen oder Deutschen auf europäischem Boden in Kontakt und setzeneine Tradition fort, die früher nur aus der Kolonialgeschichte bekannt war (…). Es entstehen immer mehr ‹Sprachoasen›, die von Migranten aus außereuropäischen Ländern in der Sprachenlandschaft Europas kontinuierlich geschaffen und erweitert werden. Insbesondere im urbanen Milieu gestalten sich die Kontakte der Sprachen von Alt- und Neueuropäern immer komplexer.» (Haarmann 2010, 517f.) «Was an der Peripherie der großen Industriestaaten, in den ehemaligen Kolonien, längst Realität ist, hat nun auch das Zentrum, die Metropolen des Westens, eingeholt: Wir werden Ohrenzeugen einer Kreolisierung der Sprache, der Auflösung einer homogenen Sprachordnung in einem fluktuierenden Sprachengemisch» (Braun 2000).
Die Sprachsituation in Deutschland
    Wie sieht die Sprachsituation im Deutschland des Jahres 2013 aus? Auf den ersten Blick haben wir hier ein Paradox: Während die Sprachsituation selbst gar nicht näher erforscht ist, liest man allenthalben stereotyp von einer ununterbrochenen Kontinuität der Mehrsprachigkeit in Deutschland.
    Natürlich gab es immer Wellen von Einwanderern, die auch ihre Sprachen mitbrachten, z.B. die französischen Hugenotten, die polnischen Bergarbeiter im Ruhrpott, Tausende von Exilrussen im Berlin der 1920er Jahre, vietnamesische Kleinhändler in

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