Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
geheiratet hätte, wenn er nicht vorher verunglückt wäre …
Lili versuchte, den Gedanken an ihre Herkunft energisch abzuschütteln. Immer wenn sie daran dachte, wie tapfer ihre Mutter sie beide durchgebracht hatte, stieg in ihr Wut auf ihren Vater hoch. Warum war er auch vom Pferd gestürzt, bevor er Davinia zum Altar hatte führen können? Dann wäre sie, Lili, wenigstens ein eheliches Kind gewesen. So aber musste sie mit diesem Makel leben, dass sie keines war. Heute war dies kaum mehr ein Problem, aber zu Schulzeiten hatte sie schwer darunter zu leiden gehabt.
Lili war froh, als Mademoiselle Larange sie in ein Gespräch über Ballett verwickelte. Das vertrieb ihre düsteren Gedanken im Nu.
Nach dem Essen löste sich die Gesellschaft rasch auf, weil die Mädchen ins Bett mussten, um für die morgendlichen Feierlichkeiten ausgeschlafen zu sein. Lili reckte den Hals, um nach Isobel zu sehen, doch ihr Platz und auch der ihres Vaters waren leer. Sie verspürte eine leichte Enttäuschung bei dem Gedanken, dass die beiden sich nicht einmal verabschiedet hatten, wobei sie sich nicht ganz sicher war, was sie mehr wurmte: dass der Vater das Fest grußlos verlassen hatte oder die Tochter …
Lili wollte gerade eine Girlande abnehmen, als die Direktorin an sie herantrat. »Miss Campbell, Schluss für heute! Sie haben Ihren Beitrag zu unserem Fest zu meiner vollen Zufriedenheit geleistet. Gehen Sie nur. Sie haben noch einen weiten Weg.« Sie blickte Lili wohlwollend an. »Ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit«, fügte sie hinzu. »Selten hat eine so junge Lehrerin in kürzester Zeit Derartiges bewegen können.«
Lili machte dieses Lob verlegen. »Ich habe doch nichts Besonderes getan«, beeilte sie sich zu widersprechen.
»O doch. Sie wissen genau, wie verschlossen Isobel war, als sie auf unsere Schule kam, wie zurückhaltend und schüchtern. Und nun tanzt sie auf der Bühne und begeistert jedermann. Das ist Ihr Verdienst.«
Lili wurde rot. »Das Talent hat sie. Ich habe sie doch nur dazu ermutigt, es zu zeigen. Und Sie dürfen Mademoiselle Larange nicht vergessen. Sie hat sich genauso für die kleine Munroy eingesetzt.«
»Das schätze ich übrigens ebenfalls sehr an Ihnen – Ihre Bescheidenheit«, erwiderte die Direktorin. »Aber nun werden Sie meinen Anweisungen folgen und sich umgehend auf den Heimweg machen. Und bitte, nehmen Sie eine Droschke. Es treibt sich heute Abend allerlei Volk in den Gassen herum.«
Lili nickte. »Dann auf Wiedersehen, Miss Macdonald. Bis morgen.«
»Morgen?«, entgegnete die Direktorin. »Schon vergessen? Alle Lehrkräfte, die ihren Beitrag zu den Festlichkeiten geleistet haben, bekommen morgen frei. Ruhen Sie sich einfach ein wenig aus.«
»Tatsächlich, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Vielen Dank.«
Lili winkte der Direktorin noch einmal zu, bevor sie ihren Mantel holte und ins Freie trat. Die Luft war frisch und klar. Es hatte aufgehört zu regnen, und auch der Wind hatte nachgelassen. Lili warf einen flüchtigen Blick zum sternenklaren Nachthimmel hinauf und stieß einen tiefen Seufzer aus. Am liebsten wäre sie zu Fuß gegangen, aber nun hatte sie der Direktorin versprochen, sich einen Wagen zu nehmen. Vor dem eisernen Tor der Schule warteten bereits einige Droschken, um die Eltern der Schülerinnen in ihre Unterkünfte zu bringen. Lili reihte sich in die Schlange der Wartenden ein. Sofort wurde sie von allen Seiten auf die gelungene Vorführung der kleinen Munroy angesprochen.
»Darf ich Sie mit einer Droschke nach Hause begleiten, Miss Campbell?«, fragte nun plötzlich eine tiefe Männerstimme, die einen geheimnisvollen rauen Klang besaß, hinter ihr. Wie vom Donner gerührt wandte sie sich um. Dabei klopfte ihr das Herz bis zum Hals.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass Sie meintwegen einen Umweg machen, würde ich in dieser selten klaren Nacht tatsächlich lieber zu Fuß gehen.«
»Nichts lieber als das«, entgegnete Sir Niall und reichte ihr seinen Arm. Zögernd hakte Lili sich bei ihm unter. »Ich wohne allerdings etwas weiter weg. Nahe der High Street«, bemerkte sie fast entschuldigend.
»Umso besser«, entgegnete der hochgewachsene Mann, dem sie knapp bis zur Schulter reichte.
Ihr Herz pochte immer noch laut, als sie sich von den wartenden Eltern entfernten, deren aufgeregtes Getuschel die Freude über dieses unerwartete Wiedersehen mit Isobels Vater ein wenig trübte. Nicht dass ich ins Gerede komme, weil ich vor allen Leuten mit ihm fortgehe,
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