Murats Traum
Gewedel beim Film. In ihren Snipe-Tretern. Sowas lacht doch ü ber uns. Wir sind doch für die bloß harte Schwänze, du Idiot!»
Lauter Premieren
Zwei Tage später bekam ich eine SMS: Denke grad an dich, gehts dir gut? Meld dich doch mal. Philipp .
Meistens antworte ich auf Nachrichten immer gleich, einfach aus Fairness, egal, ob mir an jemandem liegt oder nicht. Diesmal hielt mich irgendwas zurück. Wozu schrieb der mir, was wollte er? Ich weigerte mich zuzugeben, dass ich an ihn gedacht hatte, an seine Augen zum Schluss. Und irgendwie ärgerte mich das alles. Ich ließ ein paar Tage verstreichen, dann schrieb ich zurück: Woher hast du meine Nummer?
Seine Antwort kam sofort: Komparsenliste. Sorry! Gibt es eine Chance, dich wiederzusehen?
Null , schrieb ich, schickte es dann aber nicht los.
Und wieder vergingen Tage ... Murat war für eine Woche außerhalb, hatte einen Job beim Messebau – eines seiner Standbeine. Beweglich bleiben, wie ein Boxer ...
Ich schlief nicht gut und zog alleine durch die Gegend. Als ich eines Morgens beim ersten Lichtschein in den Park kam, blieb mir das Herz stehen: Philipp! Er saß auf einer Bank gleich am Eingang. Ich blieb wie angewurzelt stehen, völlig kopflos ... Aber dann war er es gar nicht, es war ein anderer Junge, etwas größer, älter. Was war mit mir los? So konnte das nicht weitergehen. Ich musste etwas unternehmen.
Ich verließ den Park und trottete grübelnd heimwärts, fand einen Bäcker, der gerade öffnete und ein paar Tische ins Freie stellte. Auf einmal war ich umzingelt von Philipp. Auf allen meinen Leitungen zur Welt kam immer bloß das Besetztzeichen. Philipp. Philipp. Philipp. Ich tank einen großen Pott Kaffee, aß zwei halbe Schrippen und sah auf die Uhr. Zehn vor Sieben war mein Widerstand zermürbt. Jetzt oder nie. Die Simserei erschien mir plö tzlich mädchenhaft, also rief ich Philipp direkt an. Überraschungsangriff. Nicht mein Problem, ob er noch schlief um die Zeit. Es klingelte drei Mal, dann ging er ran.
«Ich bins, Oliver.»
«Ich fass es nicht. Mensch.»
«Tja.»
«Kö nnen wir uns sehen?»
«Weiß nicht. Wann?»
«Heute? Gegen sechs ist Drehschluss, hoffe ich. Um neun?»
«Von mir aus.»
«Ich lad dich zum Essen ein.»
«Essen ist immer gut.»
«Toll. Sag wo.»
«Egal. Bloß nicht unbedingt chinesisch. Sag du.»
Er nannte eine Adresse, und nachdem wir aufgelegt hatten, schwebte ich. Oder, die Nummer kleiner: du liegst mit einer dicken Grippe auf der Schnauze, und eines Morgens wachst du auf und merkst, jetzt geht es wieder bergauf. Ich lief schnurstracks nach Hause und schlief durch bis zum späten Nachmittag.
Lange vor neun fing ich an, mich fü r den Abend zurechtzumachen. Heilige Scheiße! Ich duschte und schnitt mir die Nägel, putzte meine Ohren durch und rasierte meine drei Fransen vom Kinn. Es heißt ja immer, Frauen bräuchten am längsten im Bad, aber ich weiß nicht, ich bin da kein Experte. Beim Zähneputzen stellte ich mir vor, wie es zwischen uns sein würde, wenn Philipp mich nackt sah, und bekam dabei einen Steifen. Heute würde mein alter Kamerad mich nicht im Stich
lassen!
Es war seltsam. Unser Telefongesprä ch am Morgen hatte mich völlig verwandelt. Tagelang war ich innerlich voller Abwehr gewesen, im Grunde seit seiner überraschenden SMS, alles hatte sich gegen ihn gesträubt. Und jetzt war ich wie aus dem Häuschen und fühlte die Freude fließen, als wäre ein Damm gebrochen. Ich zog ein schwarzes T-Shirt an, das ich nicht alle Tage trage, eng und kurz, dazu die frisch gewaschenen Aufreißjeans, natürlich ohne was drunter. Ich gefiel mir. Punkt.
Das Restaurant lag in einem anderen Bezirk, ich hatte im Stadtplan nachsehen mü ssen. Eine verdammte Weltreise war das! Die U-Bahn bis Alex, dann wieder die U-Bahn, bis sie aus der Erde hochkommt. Sozusagen eine feinere Gegend, das merkte ich gleich. Der warme Frühlingsabend trieb die Leute ins Freie. Ich sah keine Kopftücher, dafür jede Menge Fahrräder. Die alten Häuser waren aufwändig saniert, viel Stuck und Schnick und Schnack, in jedem Haus fünf Straßencafés. Die Menschheit guckte hier nicht so grimmig und war besser angezogen als bei uns. Irgendwie schienen alle Urlaub zu haben. Ich kam mir vor wie in einer anderen Stadt. Ich war viel zu frü h vor dem Restaurant. Durchs Fenster sah ich ins Innere – Philipp war noch nicht da. Der Kellner trug Ohrringe und eine lange weiße Schürze, Weingläser funkelten auf den eingedeckten
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