Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
Vom Netzwerk:
älteren.
    Wenn sich wer um den Jungen gekümmert hätte, wäre das
nicht passiert.
    Den Aufzeichnungen zufolge war Howard der letzte Erwachsene,
der Daniel Juster lebend gesehen hat. Lebend, im Rückspiegel, verschmolzen mit
der Abenddämmerung, als hätte er in eben dem Moment auf der Schwelle gestanden,
eine dunkle Tür, die Howard nicht wahrnehmen konnte. Aber woher hätte er Bescheid
wissen sollen? Und selbst wenn, was hätte er tun sollen? Ihn mit zu sich nach
Hause nehmen? Den Wagen seinem Schicksal überlassen und mit dem Jungen spielen
gehen, auf dem eiskalten Parkplatz? Dann wäre irgendwie alles gut geworden?
Wenn er ein Frisbee durch die Gegend geworfen hätte, als wäre er vierzehn?
Wann hat er überhaupt zum letzten Mal Frisbee gespielt?
    Aber wie er so darüber nachdenkt, fällt es ihm sehr wohl
ein, dieses letzte Mal, mit entwaffnender Lebhaftigkeit; er fühlt sich in jene
Zeit, in die Gemütsverfassung eines Vierzehnjährigen zurückversetzt - der
Geschmack von Kaugummi mit Apfelaroma auf der Zunge, der peinliche Pickel auf
dem Kinn, der endlose Kampf darum, nicht in einem tosenden Meer der Emotionen
unterzugehen, und die abertausend Stunden draußen auf dem Kies, entschlossen,
irgendeine vollkommen nutzlose Fertigkeit zu erlernen - mit Frisbee, Jojo,
Hackysack, Bumerang -, in dem unerschütterlichen Glauben, darin liege seine
Rettung. Halb darum ringend, wahrgenommen zu werden, halb bestrebt, einfach zu
verschwinden. Großer Gott, wie hatte er das bloß durchgestanden?
    Ein Klopfen an der Haustür. Howard hat das Gefühl für die
Zeit verloren, aber es ist schon spät, das weiß er; wider besseres Wissen
schöpft er Hoffnung - Halley! springt vom Stuhl hoch und legt den Riegel um. Er
duckt sich gerade noch rechtzeitig, um der Faust auszuweichen, die aus dem
Dunkel auf ihn zuschießt.
    Und im Dorf hebt der Wind die Deckel der Mülltonnen und
lässt sie ins Leere schnappen, und im Kino hüpft Hulk auf und ab und schwingt
die Fäuste, und in dem Videoladen sind die Weihnachtsspiele eingetroffen, und
bei Ed's gibt es ein Sonderangebot, zwei Schachteln Doughnuts für den Preis von
einer, irgendwer sagt, das ist wegen dem, was da passiert ist, aber jemand
anders sagt, nein, das machen sie gerade in allen Filialen. So oder so spielt
es keine Rolle, wo du hingehst, nirgendwo ist genug Platz für dich, selbst
mitten im Einkaufszentrum kommt es dir irgendwie zu seicht vor, wie damals, als
du noch jünger warst und versucht hast, deine Actionfiguren durch deine
Legostadt spazieren zu lassen, und sie hatten einfach das falsche Format, es
hat nicht hingehauen - genauso ist es, oder vielleicht auch nicht, denn
zugleich fühlst du dich auch ganz winzig klein, wie ein Kloß im Hals von irgendwem,
und dann wieder, wen kümmert es schon, wie du dich fühlst, und egal, wo du
hingehst, du triffst auf andere grau gekleidete Jungs aus deinem Jahrgang, sie
wachsen vor dir aus dem Boden wie scheußliche Spiegelbilder - Gary Toolan,
John Keating, Maurice Wall, Vincent Bailey und all die anderen, der Höhepunkt
der Evolution, die vor so vielen Jahren mit dem einen deprimierten Fisch
begonnen hat, wenn der dir jetzt über den Weg schwämme, würdest du ihm sagen,
er soll im Meer bleiben - da sind sie, bleichgesichtig, aber feixend,
Hemdsärmel aufgekrempelt, und obwohl es traurig ist, trauriger als ein
dreibeiniger Hund, ist es auch platt, es macht dich wütend, darum freust du
dich beinahe, wenn wer sagt, Skippy war ein Homo, weil du dich dann mit ihnen
anlegen kannst, und sie freuen sich auch, also prügelst du dich mit ihnen, bis
irgendwem der Pullover zerreißt oder der Typ vom Sicherheitsdienst dich aus dem
Einkaufszentrum scheucht, aus dem anderen haben sie dich schon rausgeschmissen,
und es ist zu kalt, um in den Park zu gehen, und du denkst, so langsam müsste
es doch Zeit zum Schlafengehen sein, stimmt aber nicht, es ist gerade mal Zeit
zum Abendessen, das nach Gummireifen mit Schleimsoße schmeckt, und das du kaum
anrührst, und insgeheim denkst du auch, dass Skippy ein Homo war, du denkst,
leck mich, Skippy, aber du denkst auch, hey!, wo ist Skippy? oder, Skippy, hast
du dir mein Geodreieck ausgehe-, und dann denkst du, oh Scheiße, und alles
gerät wieder ins Wanken, und du musst dich an deinem Glückskondom oder deinem
Tupac-Schlüsselring oder deiner richtigen echten Schrotkugel festhalten, oder,
wenn du nichts davon bei dir hast, deine Hände tiefer in die Taschen stopfen
oder mit einem Stein nach einer Möwe

Weitere Kostenlose Bücher