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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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griff in seine Jacke. Er zog irgendwas aus Gold und schwarzem Leder heraus und redete auf mich ein, als zwei weitere Männer das Zimmer betraten. Sie trugen Uniformen, und einer von ihnen hielt den Schuhkarton, den ich unter meinem Schrank deponiert hatte. Aus irgendeinem Grund fragte ich mich, wo sie wohl geparkt hatten.
    Der Typ im Anzug stand da, hielt mir seine Marke entgegen und redete. Er sprach genau die Worte, die wir alle aus dem Kino und dem Fernsehen kannten, aber ich konnte ihn nicht mehr verstehen und auch nicht mehr richtig sehen, denn da war ein Brausen in meinem Kopf, meine Beine gaben nach, vor meinen Augen begann alles zu verschwimmen. Alles flirrte und schwirrte, als sich meine Pupillen weiteten, wie sie es tun, kurz bevor man einen Unfall hat oder in eine Schlägerei gerät.
    Sie drehten mir die Arme auf den Rücken. Ich spürte, wie sich das warme Metall um meine Handgelenke schloss, einrastete, in die Haut kniff. Und alles, woran ich denken konnte, war: Wer holt jetzt Skye ab?

vierzehn
    »It’s my belief – we used up all of our time …«
    Fishkill Justizvollzugsanstalt, Dutchess County, NY, 3. Dezember 1973 • Heute war ein schlechter Tag. Wie überall sonst gab es auch hier drin gute und schlechte Tage.
    Fucker, mein Zellengenosse, hatte mir erklärt, schlechte Tage habe man, wenn man entweder zu weit in die Zukunft dachte oder etwas geschah, das einen besonders stark an das Leben draußen erinnerte, das Leben, das man mal hatte. »Du darfst diesen Scheiß nicht an dich ranlassen«, sagte er, »sei jetzt keine Memme. Hör auf, hier rumzuheulen.« Er hatte recht. Wenn man nur ans Hier und Jetzt dachte – die Arbeit, die man zu erledigen hatte, das Kartenspiel, das man spielte, das Buch, das man las, die Drogen, die man nahm –, dann war es erträglich. Man kam irgendwie klar.
    Die Nachmittage verbrachte ich in der kleinen Bücherei, die es hier gab. Nach Rikers Island war das etwas völlig Neues für mich. Dort gab es keinen Schnickschnack. Rikers war die Holzklasse. New York City war, das hatte ich im Knast gelernt, ein Scheißhaus. Die Upstate-Gefängnisse wie Fishkill bildeten die dazugehörige Jauchegrube. Und Rikers Island war der beschissene Siphon, durch den alle irgendwann durchmussten. Es war der übelste Gangbang, den man sich vorstellen kann: 15.000 Vergewaltiger, Mörder, Autodiebe, Drogendealer, Gangsterbosse, Einbrecher, Straßenräuber, Kinderficker, zusammengepfercht auf einem Felsen mitten im East River. Sämtliche Probleme des Staates New York auf einer kleinen Insel vor der Küste von Queens. Niemand dort weiß, was ihn erwartet, nervös und gereizt warten alle auf ihr Urteil. Auf Rikers Island kann man die ganze Bandbreite jener Scheiße erleben, die in Gefängnissen so abläuft – genau die Scheiße, von der man sich erzählt –, und einiges davon passierte auch mir.
    Auf der Suche nach etwas zum Lesen durchstöberte ich die Regale. Besonders viel Auswahl gab es nicht: alte Westernromane, Thriller und Krimis. Zerfledderte Ausgaben von Life und Newsweek , wie in einem Zahnarztwartezimmer von 1965. Ich ging gerade einen Stapel Magazine durch, als ich die Worte »The Band« las. Sie prangten fett gedruckt über einer seltsamen Karikatur. Zuerst erkannte ich keinen von ihnen: Die Bärte von Garth und Levon waren gewaltig. Richard, dessen Gesicht zur Hälfte im Schatten eines breitkrempigen Hutes verborgen lag, sah aus wie ein Pirat.
    Quer über die rechte obere Ecke des Bildes lief die Schlagzeile »The New Sound Of Rock«. Es war das Time Magazine . Die verdammte Titelseite. Ich sah nach dem Erscheinungsdatum der Ausgabe: 12. Januar 1970.
    Das war fast vier Jahre her.
    All die Erinnerungen kehrten zurück – an das Leben, das ich mal hatte –, und ich ging wieder in meine Zelle, um etwas zu schlafen. Aber der Schlaf wollte nicht kommen, ich bekam die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte daran, mit Fucker darüber zu reden, ihm zu erzählen, dass ich diese Typen, die mal meine Freunde gewesen waren, auf dem Cover des Time Magazine gesehen hatte. Dann blickte ich zu ihm rüber – ein neunzig Kilo schwerer, zorniger Schwarzer, der in einer zerknitterten, fleckigen Ausgabe von Sluts blätterte, auf deren Titel eine Asiatin an einem unterarmlangen Schwanz zu ersticken drohte – und verwarf den Gedanken.
    Bis dahin hatte ich im Gefängnis erst ein einziges Mal geweint: auf Rikers Island, an Silvester ’69. Es dämmerte, und wir hatten Hofgang. Ich stand allein in

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