Vom glücklichen Leben (German Edition)
L. Annaeus Seneca und die stoische Philosophie
Senecas Leben
Lucius Annaeus Seneca wurde vermutlich im Jahr 1 v. Chr. in Corduba in Hispanien geboren. Sein Vater, zur Unterscheidung von ihm entweder der Ältere oder wegen einer Schrift über die Redekunst auch Seneca Rhetor genannt, stammte aus dem Ritterstand. In seinem Werk über die Rhetorik, das er seinen drei Söhnen widmete, kritisierte der Vater die Künstelei der zeitgenössischen Redner und forderte die Rückkehr zur Reinheit des ciceronianischen Stils. Gemeinsam mit seiner Frau Helvia hatte Seneca der Ältere drei Söhne: außer dem berühmten Schriftsteller noch den Sohn Lucius Annaeus Novatus, der nach seiner Adoption durch eine kinderlose römische Familie Gallio genannt wurde und als Prokonsul der Provinz Achaia (51/52) die Klage der Juden gegen den Apostel Paulus abwies (Apg 18,12–17). Ihm widmete sein Bruder Seneca der Jüngere zwei seiner Schriften: De ira (Vom Zorn) , De vita beata (Vom glücklichen Leben). Der jüngere Bruder des Schriftstellers war Marcus Annaeus Mela, der die Verwaltung des väterlichen Gutes in Corduba übernahm und dessen Sohn, Marcus Annaeus Lucanus, mit seinem Bürgerkriegsepos Pharsalia ebenfalls als Schriftsteller in der römischen Literatur hervortrat.
Seneca selbst kam schon als Kind nach Rom, um dort die bestmögliche Erziehung zu erhalten und bald die ersten Erfolge als Anwalt zu haben. Seine Lehrer waren Quintus Sextius, der Pythagoreer Sotion, der Stoiker Attalus, der Philosoph Papirius Fabianus und der Redelehrer Mamercus Scaurus. Wie sich schon an den Lehrern zeigt, war für Senecas Leben die philosophische Ausbildung bedeutsamer als seine politische, was den Vater eher verdross. Als junger Mann neigte er sehr zur Kränklichkeit: Asthma und Bronchitis plagten ihn so sehr, dass er erstmals an Selbstmord dachte. Daher wurde er im Alter von 30 Jahren nach Ägypten geschickt, wo Gaius Galerius, der Schwager seiner Mutter, römischer Statthalter war; die Tante pflegte ihn mit Hilfe des trockenen Klimas gesund. Auf der Rückreise nach Italien im Jahr 31 erlitt Seneca mit Onkel und Tante Schiffbruch, wobei Galerius ums Leben kam. Nach der Ankunft in Rom beförderte die Tante Senecas politische Karriere durch ihre Beziehungen. So wurde Seneca 34 oder 35 Quästor und Senatsmitglied. In dieser Zeit entstanden aber auch die ersten Schriften, darunter die Trostschrift an Marcia, die Tochter des Historikers Cremutius Cordus, die er nach dem Verlust ihres Sohnes Metilius tröstete. Seneca selbst war zweimal verheiratet. Von der ersten Frau hatte er zwei Söhne, von welchen einer kurz vor der Verbannung des Vaters starb. Im Senat gehörte Seneca zu den glänzenden Köpfen der Opposition gegen Caligula. Auch unter dessen Nachfolger verbesserte sich das Verhältnis zum Kaiserhaus nicht. Des Ehebruchs mit Iulia Livilla, der Schwester Caligulas, angeklagt, wurde Seneca daher im Jahre 41 ins Exil nach Korsika verbannt, wo er bis 49 bleiben musste. Dort verfasst er zwei weitere Trostschriften, nämlich an seine Mutter Helvia und an Polybios, einen Freigelassenen und an Claudius’ Hof einflussreichen Beamten, der seinen Bruder verloren hatte. Ebenfalls in den 40er-Jahren entsteht die Schrift De ira in drei Büchern, worin Seneca über die Kontrolle der Affekte handelt.
Im Jahre 49 wurde Seneca nach Rom zurückgerufen, in eine ebenso verantwortungsvolle wie brisante Stellung: Agrippina die Jüngere, die Kaiser Claudius geheiratet und ihrem Sohn die Anwartschaft auf die Nachfolge Claudius’ durch Adoption verschafft hatte, wünschte den Philosophen als Erzieher des künftigen Kaisers Nero. Eine Ablehnung dieser Aufgabe war undenkbar. Im Jahre 50 stieg Seneca zum Prätor auf. Jetzt entstand die Schrift De brevitate vitae (Von der Kürze des Lebens), vielleicht stammen aus dieser Zeit auch die ersten Tragödien. Die Stoffe zu seinen Dramen nahm Seneca aus der griechischen Mythologie nach den Vorbildern Aischylos, Sophokles und Euripides. Senecas Tragödien sind die einzigen, die aus der lateinischen Antike erhalten sind. Wichtiger als die äußere Handlung ist die seelische Entwicklung seiner Figuren – durchaus passend zum Menschenbild der Stoa.
Im Jahre 54 starb Kaiser Claudius. Neros Leichenrede auf den toten Vorgänger verfasste Seneca; während er darin das gebotene Lob des Verstorbenen formulierte, schrieb derselbe Seneca auch die Apocolocyntosis (Verkürbissung des Kaisers Claudius), für die er sich später wegen des
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