Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
»Denkwerk Zukunft«. Auch für andere Ökonomen ist Nachhaltigkeit zum zentralen Begriff geworden und selbst die Politik erkennt allmählich die Notwendigkeit, neue Wirtschaftsmodelle zu entwerfen, die nicht mehr nur auf permanentes Wachstum setzen.
Um die Kraft für einen Richtungswechsel zu finden, benötigen wir jedoch ausgerechnet das, was uns am meisten fehlt: Muße und Zeit. Muße, um neue Ideen zu entwickeln, Zeit, um unsere eingefahrenen Verhaltensweisen zu überprüfen und Alternativen zu erproben, in unserem eigenen Leben wie in der großen Politik.
Wie wichtig solche Zeiten des Innehaltens sind, zeigte nicht zuletzt gerade die Finanzkrise: So war es etwa bei der akut notwendigen Stabilisierung der angeschlagenen Hypo Real Estate enorm hilfreich, dass die Börsen zwei Tage in der Woche geschlossen hatten und das Aktiengetriebe wenigstens kurzzeitig zum Erliegen kam. Anfang Oktober 2008, als der Aktienkurs der Bank in freiem Fall war, bot der arbeitsfreie Sonntag die erforderliche Atempause, um die Hypo Real Estate mit einem milliardenschweren Rettungspaket fürs Erste vor dem Bankrott zu bewahren. Als die Börse am Montag wieder öffnete, war die Hypo Real Estate stabilisiert und damit die befürchtete Kernschmelze der Börsenkurse verhindert worden. a
Eine Auszeit vom alltäglichen Immer-weiter-so ist also mitnichten verlorene Zeit; im Gegenteil, oft ist die Distanz zum üblichen Getriebe geradezu überlebensnotwendig. Und das gilt für das Börsengeschehen ebenso wie für unsere eigene Psyche. Hirnforscher haben mittlerweile festgestellt, dass unser Gehirn immer wieder Phasen des Nichtstuns braucht, dass ein gewisser Leerlauf im Kopf für unsere geistige Stabilität sogar geradezu unabdingbar ist.
Allerdings haben wir die hohe Kunst des Nichtstuns weitgehend verlernt. Das abschätzige Wort vom Müßiggang, der angeblich aller Laster Anfang sei, steckt uns derart tief in den Knochen, dass wir dem gestressten Karrieremenschen (auch wenn er mit unsinnigen Finanzderivaten hantiert) gesellschaftlich mehr Bewunderung entgegenbringen als dem genügsamen Lebenskünstler, dem es gelingt, auch ohne Reichtümer glücklich zu sein. Wir feiern die Aktivität allein um ihrer selbst willen, ohne zu fragen, ob sie denn im großen Rahmen für alle Menschen eher förderlich oder schädlich ist; und noch immer gilt das Bruttosozialprodukt als Kennzahl gesellschaftlichen Glückes – ganz so, als ob die Zahl der verkauften, konsumierten und weggeworfenen Güter etwas über die innere Zufriedenheit derer aussagen würde, die in diesem Warenberg leben. Ebenso betrachten wir es als Vorteil, wenn uns ein neues digitales Gerät wie etwa Apples iPad noch mehr Optionen eröffnet, uns noch mehr Informationskanäle erschließt – als ob es immer noch darauf ankäme, die Quantität der verfügbaren Informationen zu steigern und nicht ihre Qualität.
Es ist schon erstaunlich: Mit unserem Körper gehen wir längst pfleglicher und klüger um als mit unserem Geist. Unzählige Diätratgeber lehren uns, beim Essen Maß zu halten, wir machen Frühjahrs- und Herbstkuren, achten auf den Body-Mass-Index und die Qualität unserer Lebensmittel und empören uns, wenn Gammelfleisch über die Ladentheke geht. Doch all das, was in Bezug auf das Essen inzwischen common sense ist, scheint im Umgang mit Informationen nicht zu gelten. Dort frönen wir häufig einer ungezügelten Völlerei, stopfen unser Gehirn mit zu vielen, falschen oder unwichtigen Informationen voll und kommen kaum einmal auf den Gedanken, dass unser armes Denkorgan dies alles ja verdauen muss, dass es – wie jedes Organ – auch Zeiten der Regeneration braucht. Am Ende wundern wir uns, warum wir uns geistig so ausgebrannt fühlen und häufig die wirklich entscheidenden Aufgaben aus dem Blick verlieren.
Dieses Buch ist daher so etwas wie ein Diätratgeber für den Geist. Es will helfen, den Blick für das Wesentliche zu behalten und die Kunst dessen zu pflegen, was früher Muße genannt wurde. Dieses »Fernsein von Geschäften oder Abhaltungen«, wie Grimms Wörterbuch die Muße definiert, ist heute für viele gleichbedeutend mit erschöpftem Abhängen (vor dem Fernseher). Dabei bezeichnet Muße eigentlich etwas ganz anderes, nämlich jene Stunden, in denen wir ganz das Gefühl haben, Herr über unsere eigene Zeit zu sein, in denen wir einmal nicht dem Geld, der Karriere oder dem Erfolg hinterherrennen, sondern in denen wir zu uns selbst und unserer eigentlichen Bestimmung
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