Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
Bewältigung inzwischen überfordert. »Das Problem unserer Patienten ist nicht, Höchstleistungen zu erbringen. Im Gegenteil, das Problem ist, abschalten zu können und nichts zu tun.« 11
Wie Mundle sind viele andere Ärzte und Therapeuten überzeugt, dass die neuen Medien auch neue Wege des Stressmanagements und der Entspannung erfordern und dass, wer online sein möchte, auch aktiv offline gehen können muss. Dem Aufzeigen solcher Wege und Strategien ist daher ein Teil dieses Buches gewidmet. Allerdings macht es auch klar, dass es mit individuellen Tipps allein in vielen Fällen nicht getan ist. Denn dies ist genau der Irrtum all jener Zeitmanagement-Ratgeber, die suggerieren, die allgemeine Zeitnot sei lediglich ein persönliches Problem und wer es nicht bewältige, sei demnach selbst schuld – was uns alle letztlich noch mehr unter Druck setzt.
Dabei ist das allgegenwärtige Gehetztsein längst ein kollektives Problem geworden, das sich aus vielen Quellen speist – technischer Fortschritt, sozialer Wandel, Globalisierung und veränderte religiöse Vorstellungen. Das Gefühl der Zeitnot ist sozusagen das Charakteristikum der modernen Beschleunigungsgesellschaft, die wir alle gemeinsam am Laufen halten. Daher müssen alle Ratschläge, die diesen größeren Rahmen außer Acht lassen, auf lange Sicht notgedrungen scheitern.
Einen der schlagendsten Belege dafür liefert die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, die wie kaum eine andere die Fallen der modernen Beschleunigungsgesellschaft kennt. 2007 schrieb sie ein kluges Buch (Das Glück der Unerreichbarkeit) , in dem sie den täglichen Termindruck und das Trommelfeuer der Dauerkommunikation beklagte und ihren Lesern dringend empfahl, immer wieder Ruhephasen einzuplanen und gezielt abzuschalten. Das klang alles höchst einleuchtend – drei Jahre später allerdings bewies ausgerechnet Meckel selbst, dass es mit solchen Tipps allein nicht getan ist. 2010 veröffentlichte die Erfolgsfrau, die mit 31 Jahren Deutschlands jüngste Professorin war, dann Regierungssprecherin und Staatssekretärin wurde und heute an der Universität St. Gallen in der Schweiz lehrt, ein neues Buch: Brief an mein Leben – Erfahrungen mit einem Burnout . Darin berichtet Meckel, wie ihr genau das passierte, wovor sie in ihrem ersten Buch gewarnt hatte: Während sie wieder mal eine Flut von E-Mails beantwortete, den Koffer für eine Konferenz packte und an tausend Dinge zugleich dachte, klappte sie regelrecht zusammen, ihr Körper versagte den Dienst. Nichts ging mehr. 12
Bemerkenswert an Meckels Geschichte ist nicht nur, dass sogar eine so reflektierte Frau der Erfolgsfalle nicht entkommt, die sie selbst genau beschrieben hat; interessant daran ist auch, dass ihr Buch prompt zu einem Bestseller wurde und der Wissenschaftlerin (die auch als Lebensgefährtin der Fernsehmoderatorin Anne Will im Schweinwerferlicht steht) einmal mehr große Aufmerksamkeit bescherte. Mit ein wenig Zynismus könnte man sagen: Meckel hat bewiesen, dass man selbst einen Burn-out noch zum Erfolg machen kann.
Ein Burn-out sei die einzige Seelenpein, »mit der Menschen offenbar gern an die Öffentlichkeit gehen«, schreibt dazu das Magazin Focus treffend. 13 »Gerade in den Rängen der Prominenten und Halbprominenten scheint es zum guten Ton zu gehören, sich entsprechend zu outen.« Wer ausbrennt, hat zumindest bewiesen, dass er vorher für eine Sache ganz gebrannt hat, lautet das verharmlosende Klischee. Dabei geht das Erschöpfungsleiden häufig mit schwerwiegenden Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen einher, die – wie bei dem Fussballtorwart Robert Enke – sogar zum Suizid führen können.
Das Fatale an diesem Leiden ist, dass es von den Betroffenen häufig gar nicht als »richtige Krankheit« angesehen, sondern gern verdrängt und als vorübergehende Schwäche abgetan wird, der man am besten dadurch begegnet, indem man sich mehr »am Riemen reißt«. Wer wissen will, ob er ein Burn-out-Kandidat ist, dem mag der folgende Selbsttest helfen, den der Hamburger Mediziner Michael Stark entwickelt hat.
Bin ich ein Burn-out-Kandidat?
Beantworten Sie einfach eine Woche lang jeden Tag die zehn Fragen mit einem roten oder grünen Kreuz.
Mo.
Di.
Mi.
Do.
Fr.
Wie sind Sie aufgewacht? Ausgeruht (grün), kaputt (rot)
Haben Sie den Morgen in Ruhe verbracht, sich z. B. Zeit für ein Frühstück genommen? Ja (grün), nein (rot)
Haben Sie tagsüber kurze Erholpausen gemacht, z. B. in
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