Mutiert
erwiesen hat. Wir sind gerade dabei, weitere Tests durchzuführen. In zwei Tagen wissen wir mehr.«
» Um welchen Wirkstoff handelt es sich?«, fragte Professor Sander.
» Euralvirin, ein experimenteller HIV -Wirkstoff der dritten Generation«, antwortete Joanna Kim.
» Und wie sieht es mit der Bioverfügbarkeit aus?«
» Die Bioverfügbarkeit des Medikaments bei oraler Verabreichung ist durchaus zufriedenstellend. Das heißt, wir könnten es in Tablettenform verabreichen, ohne dass wir zusätzliche Maßnahmen durchführen müssen.«
» Das ist sehr gut, Joanna«, antwortete Professor Sander. » Hier weigert man sich nämlich beharrlich, die Behandlung dezentral zu organisieren. Also ist das Hyperimmunserum dauerhaft keine Option, und eine prophylaktische Wirkung ist nicht gegeben. Ich bin gerade auf dem Weg ins Gesundheitsministerium, um den Kerlen dort einmal so richtig Bescheid zu sagen.«
» Gibt es einen Grund dafür?«
» Sie haben Angst, die Kontrolle über die Angelegenheit zu verlieren«, erklärte der Professor. » Es mangelt an Leuten und an Material. Diese Gegend hier ist nicht mit anderen Landstrichen zu vergleichen. Hier gibt es über Kilometer nur Wald und keine Straßen. Man kommt nur mit Booten oder mit Hubschraubern vorwärts. Die Ansiedlungen sind sehr weitläufig verstreut. Es gibt Dörfer, die man nur über die Flüsse oder aus der Luft erreichen kann. Vor ein paar Wochen wütete hier ein heftiger Sturm, der einen Teil der Stromversorgung lahmlegte und das Kraftwerk am Balbina-Stausee zum Teil zerstörte. Dort ist die Armee im Einsatz, und das Militär ist nicht bereit, Kräfte abzuziehen.«
» Ich verstehe eure Lage, wir arbeiten Tag und Nacht«, antwortete Professor Joanna Kim. » Ich erinnere mich gar nicht, wann ich die letzte Nacht durchgeschlafen habe.«
» Ich weiß.«
Anne Arlette beugte sich zum Mikrophon. » Falls dieses Euralvirin wirksam wäre, wie schnell und in welcher Menge wäre es verfügbar?«
» Der Hersteller ist die Firma MedCom aus Boulder, sie wären bereit, ihre Produktion umzustellen. Dort wären bislang tausend Einheiten abrufbar. Aber bis zum Ende der Woche ließe sich das auf zehntausend Einheiten erhöhen. Ich kenne zufällig den Leiter der Forschungsabteilung, Professor Macombie. Er war früher Dozent an der Uni, als ich noch Doktorandin war. Die MedCom wäre bereit, uns das Medikament zur Verfügung zu stellen.«
Professor Sander atmete auf. » Das sind sehr gute Nachrichten.«
» Erst einmal abwarten, was die Testreihen ergeben.«
Der Professor lächelte. » Ich weiß, aber hier ist schon der kleinste Hoffnungsschimmer eine Offenbarung, denn wir haben bislang unserem kleinen Freund nichts entgegenzusetzen, und das Hyperimmunserum wird uns auf Dauer nicht helfen, solange man im Ministerium nicht umdenkt.«
» Ich hoffe, dass dein Besuch in Brasilia von Erfolg gekrönt ist«, verabschiedete sich Joanna Kim.
» Dein Wort in Gottes Ohr«, antwortete der Professor und beendete das Gespräch.
» Ich wünschte, dass Joanna Recht behält und wir endlich etwas Wirksames gegen das Virus in die Hände bekommen, damit wir den Leuten hier wirklich helfen können«, seufzte Anne Arlette.
» Wir können uns auf Joanna verlassen«, entgegnete Professor Sander und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. » So, jetzt muss ich los, damit ich den Politikern die Leviten lesen kann.«
» Viel Glück!«
46
Lagezentrum der WHO in Genf
» Wir benötigen den Bericht bis heute Mittag«, sagte der Leiter des Strategic Health Operations Center der WHO , kurz SHOC genannt, zu seinem Mitarbeiter. » Ich hörte, dass wir auf Stufe 4 zurückfahren. Der Direktor braucht eine explizite Lageeinschätzung.«
Der Mitarbeiter im kurzärmeligen weißen Hemd zuckte mit der Schulter. » Viel gibt es dazu nicht zu sagen«, entgegnete er. » Die Lage im Amazonasgebiet ist unverändert, aber stabil. Nach letzten Meldungen sind derzeit 228 Erkrankte im Camp. In Belém und in den anderen Teilen Brasiliens ist es zu keinen weiteren Infektionen gekommen, und in Belgien und den USA befinden sich derzeit noch drei Personen auf den Isolierstationen.«
» Wie sieht es mit Neuzugängen im Lager Urucará aus?«
» Sander und sein Team melden, dass die Zahl seit einer Woche deutlich rückläufig ist, aber im Norden noch immer chaotische Zustände herrschen und sich das brasilianische Gesundheitsministerium weigert, seinem Vorschlag einer Dezentralisierung der Behandlungszentren zuzustimmen. Sie
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