Mutproben
ist, oder wie bei Franz
Josef Strauß, dessen unzählige Eskapaden meist nur als Gerücht kursierten und denen man eben nicht spitzfindig nachging. Brandt und Strauß hätte es in der heutigen Zeit wohl so nicht gegeben. Ebenso wie Karl-Theodor zu Guttenberg zu jener Zeit das Plagiat seiner Doktorarbeit, wäre sie denn überhaupt öffentlich geworden, aller Wahrscheinlichkeit nach unbeschadet überlebt hätte. Der Soziologe Max Weber fasste zusammen, was das Charisma eines politischen Führers ausmacht. Seiner Meinung nach ist es eine »als außeralltäglich (…) geltende Qualität einer Persönlichkeit, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ›Führer‹ gewertet wird.« Heute hingegen ist Charisma kein Garant für Anerkennung; jede öffentliche Person wird genauestens auf Herz und Nieren geprüft. Ich will das gar nicht verurteilen, denn ein öffentliches Korrektiv ist für eine Demokratie unabdingbar. Aber Politiker mit makellosem Vorbildcharakter werden nur noch schwer zu finden sein. Jeder Mensch ist nur ein Mensch, mit all seinen Fehlern und mit all seinen Schwächen. Wenn also das Bewahren-Können entfällt und auch die Lichtgestalten entfallen, bleibt die Frage, was noch übrig bleibt von der konservativen Idee.
Erhard Eppler machte vor vielen Jahren einmal die Unterscheidung in Wertkonservative und Strukturkonservative. Wertkonservative sind jene, die bestimmte Werte intellektuell hinterfragen und sich dazu bekennen. Strukturkonservative
halten sich hingegen an den Symbolen fest, an Mechanismen, aber eben nicht an Inhalten. Aber diese intellektuell durchaus interessante Unterscheidung hat nie den Kern getroffen, weil der wahre Konservative Symbol und Wert nicht unterscheidet. Nehmen wir ein unverfängliches Beispiel: Der Konservative plädiert für eine starke Armee, weil er der Meinung ist, dass diese nützlich sei, um sich zu wehren und die nationale Souveränität zu schützen. Für eine starke Armee braucht es eine gewisse Truppenstärke und eine funktionale Struktur. Eine starke Armee braucht aber keinen Zapfenstreich oder das öffentliche Gelöbnis. Nichts gegen militärische Traditionspflege, aber das ist nun einmal reine Symbolik und nicht prägend für den Inhalt. Für einen Konservativen aber ist diese Symbolik untrennbar vom Inhalt, er wird an ihr festhalten, auch wenn die Aufgaben, die Inhalte und Werte sich geändert haben. In Zeiten sich rasant wandelnder Umstände, die sich etwa auch auf den Auftrag und die Struktur einer Armee auswirken, läuft unveränderte und eng verbundene Symbolik Gefahr, überholt zu werden und künstlich zu wirken.
Oder betrachten wir das wohl noch beliebtere Beispiel der Konservativen: den Stand der Ehe. Der konservative Wert ist es, dass Menschen Bindungen eingehen, füreinander Verantwortung übernehmen über den Tag hinaus. Das ist ein Wert, der privilegiert wird. Aber der Konservative will dies nur für die Bindung zwischen Mann und Frau, das ist die angestrebte Konstellation. Der Konservative ist gegen die Ehe für Schwule. Mann und Frau sind aber kein Inhalt, sondern eine biologische Klassifizierung. Der Wert ist das Füreinander, die Symbolik
ist der herkömmliche Trauschein. Der Wert ist es doch, seinem Partner ein Versprechen auf Lebenszeit zu geben, für ihn da zu sein und den Staat in seiner Fürsorglichkeit am Ende zu entlasten. Für die Sache ist es da doch völlig egal, ob es zwei Männer, zwei Frauen oder ein Mann und eine Frau sind, die sich darauf einigen. Der Wert bleibt also der gleiche, aber für den Konservativen fehlt bei der gleichgeschlechtlichen Ehe schlicht das Tradierte, der Trauschein von Mann und Frau. Darum habe ich den Eindruck, dass diejenigen, die sich selbst als konservativ definieren, inhaltsleer geworden sind. Die Konservativen stecken in einem schweren Dilemma. Ihnen fehlt der programmatische Kern. Verlässlichkeit, Maß, Mitte, Demut – das alles sind vielleicht Dinge, die ein Konservativer für sich in Anspruch nimmt. Aber es sind Haltungen, keine Inhalte. Kurzum: Wenn ich Konservative reden höre, dann erschöpfen sie sich häufig im Postulieren von Haltungen und im Artikulieren von Gefühlen. Ihre Aussagen reduzieren sich letztlich auf: »Das tut man und das tut man nicht.« Aber wer kann so etwas schon als Partei programmatisch
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