Muttergefuehle
Geburtstag eher so etwas wie ein Leitpfosten auf der Autobahn: Wir feierten sein Alter nicht, wir stellten es fest. Abends gingen der Mann und ich essen (unter der Bedingung, nicht so viel übers Kind zu reden) und beschlossen, dass es nun an der Zeit war, ihn in eine Betreuungssituation zu geben. Ich war traurig, denn ich hatte mir diesen Tag so schön ausgemalt: Der Mann und ich lassen vor Glück und Martini betrunken das Jahr Revue passieren, so wie die meisten meiner Freundinnen das gemacht haben. Aber statt eines beseelten »Jetzt ist er schon so groß« dachte ich nur: »Jetzt muss er wirklich weg.« Traurig, aber wahr.
Die Emokeule gab es aber trotzdem, nur eben etwas später in der Kinderabteilung von H&M . Als ich feststellte, dass meinem Sohn schon einige Größen zu klein sind, und ich diese winzigen Bodys da hängen sah, verspürte ich einen Stich im Herzen. »O mein Gott, er ist schon so groß«, dachte ich, fast verzweifelt, während mir die Tränen in die Augen schossen. Ich stand sehr lange wie gelähmt rum und begann zu Hause traurig, die Klamotten auszusortieren, die ihm zu klein geworden waren. Bei jedem Teil erinnerte ich mich wehmütig, wie er darin ausgesehen hat. Der kleine Frotteestrampler mit den Eulen drauf, in dem er in seinem Stubenwagen lag und Gesichtsdisco gemacht hat, sein kleiner, kleiner Schneeanzug, in dem wir ihn aus dem Krankenhaus mit nach Hause genommen haben. Mein kleines Hasenkind, eben war er doch noch ein hilfloses winziges Häufchen, jetzt kann er schon laufen und essen, morgen schreibt er »Für Eltern verboten« mit Edding an seine Zimmertür, dann trägt er seine Turnschuhe, bis sie auseinanderfallen, und seinen Ranzen nur auf einer Seite, und ich mache mir Sorgen um seine Füße und seinen Rücken, und dann will er Interrail machen, und schon wohnt er in einer WG mit lauter Leuten, von denen ich nicht die Nachnamen kenne.
Weil ich meinen Sohn immer mehr liebe, je älter er wird, bin ich seit diesem Tag die Wehmut nie mehr richtig losgeworden. »Er ist schon so groß«, denke ich, wenn er mir seinen Teller hinhält und »Mehr Joghurt, bitte« (okay: »Mea Joku bita«) sagt, wenn er Türme mit Bauklötzen baut, wenn er seine kleinen Adiletten anschleppt und sie unbedingt anziehen will oder wenn er ganz allein in seinem Zimmer tanzt, eigentlich denke ich es immer, wenn er nicht gerade schläft. Na ja, eigentlich sogar dann, schließlich lag ja irgendwann in diesem Bett mal ein kleines Häufchen, das wir fast auf der Matratze suchen mussten.
In diesen »Er ist schon so groß«-Momenten werde ich aus zwei Gründen traurig. Erstens, weil er schon so groß ist, und zweitens, weil ich in der ersten Zeit mit ihm so viel mit mir selbst gekämpft habe. Ich kam mit dem Status Mutter und den dazugehörigen Hindernissen und Klischees nicht zurecht, war oft unglücklich und unsicher und überfordert, und wenn mir jemand gesagt hat, ich solle mich entspannen, weil irgendwann alles einfacher wird, habe ich nur hämisch gelacht. Das hätte ich nicht mal mir selbst geglaubt, wenn ich mir als Geist erschienen wäre. Aber es stimmt. Und mit diesem Abstand und meiner jetzigen Erfahrung denke ich traurig, ich hätte die erste Zeit mit meinem Sohn noch mehr genießen können.
Dann gucke ich mir die Fotos aus dem ersten Jahr an und stelle erleichtert fest: Man kann auch die Vergangenheit schwarzmalen, denn er sieht auf den Bildern und in den Videos aus, wie ein fröhliches, geliebtes Kind eben aussieht, zumindest ab dem Zeitpunkt, an dem er seine Gesichtszüge im Griff hatte. Also hatten wir schon immer Spaß. Puh! Jetzt, wo ich wirklich alles einfacher finde, weil ich herausgefunden habe, wie ich mit Kind am glücklichsten bin, nämlich mit Arbeit und mit einem Mann, der nicht ganz so viel arbeitet (man kann ja nicht alles haben), genieße ich die Zeit mit ihm doppelt und dreifach. Und seinen zweiten Geburtstag werde ich mir durch nichts in der Welt vermiesen lassen. Da wird angestoßen und gefühlsgeduselt, bis das Schmalz sich selbst eklig findet!
Meine Maßnahmen gegen das Bedauern:
• Ich hebe alles auf. Mein nostalgisches Horten geht über die Haare vom ersten Schnitt, kleine Fingernägel über jedes selbst gemalte Kriggelakrak bis hin zur eingefrorenen Muttermilch, von der ich mich auch ein Jahr nach dem Abstillen noch nicht trennen kann.
• Ich fordere Partys zum ersten Geburtstag jedes Kindes – für die Mütter. Wer fürs Kind aus dem Berufsleben ausgestiegen und ein Jahr
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