Mutterschuldgefuehl
Und alle, ob Eltern oder Lehrer, sind sich selbstverständlich einig, dass der empfundene Leistungsdruck völlig übertrieben ist und den Kindern nur schadet.
Aber wahr ist: Die Kinder haben einfach nur zu 100 Prozent unsere eigene leistungsbesessene, materielle Weltanschauung übernommen. Sie spiegeln unsere Ãngste und Ãberzeugungen, nicht mehr und nicht weniger. Haben wir ernsthaft gedacht, unsere Kinder würden nicht merken, wie bei uns der Hase läuft? Und wer genau hinschaut, der sieht es deutlich: Es sind die Geister, die wir riefen, die den Kindern zu schaffen machen. Vergleiche und Wettbewerbe, das ist das, was wir Eltern mit den Kindern leben. Und Vergleiche und Wettbewerbe, das ist das, was Kindern jetzt Stress macht.
»Ha!«, schreit Alexander. »Du bist immer noch auf Seite 15? Ich bin schon fast fertig mit dem Buch. Du bist aber langsam! Du kannst ja nichts!«
Und Martha sitzt da und weint.
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Eine Ausnahme? Bösartig? Nein, eher nicht. Das ist normal und logisch. Früher lernten Kinder zusammen. Es gab etwa ein Arbeitsblatt, das alle ausfüllen mussten. Es machte keinen groÃen Unterschied, wer am schnellsten bei dieser Aufgabe war, denn am Schluss mussten alle aufeinander warten. Heute ist das anders. Heute haben Kinder ihre Wochenarbeitspläne oder Arbeitshefte, die sie individuell nach eigenem Tempo und Fähigkeiten erarbeiten können. Und wenn der eine Plan oder das eine Heft bearbeitet ist, können die Kinder zum nächsten greifen. Dies scheint eine ungeheure Wettbewerbslust unter den Kindern anzufachen. Wer ist schneller, besser, weiter? Wer hat schon diese und jene Hefte, kann schon jene oder diese Rechenart und schreibt fehlerlos?
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»Ich bin viel besser als du!«, heiÃt es.
Oder:
»Du bist viel schlechter als ich!«
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Der Gedanke scheint verwegen, aber haben die Kinder vielleicht aus ihren Baby- und Kinderförderkursen ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken mitgebracht, das in dem neuen Schulsystem der individuellen Entwicklung zur vollen Blüte kommt? Und da ist es auch ganz logisch, dass Noten in der Grundschule von Jahr zu Jahr mehr das Lebensgefühl und Selbstverständnis von Kindern prägen. Noten sind wichtiger als je zuvor. Unter Grundschülern ist ein neues Spiel entstanden, das meines Wissen zu meiner Schulzeit noch völlig unbekannt war: »Welche Note gibst du mir?«
Da stehen die Kleinen auf dem Schulhof und bewerten sich gegenseitig in Mathematik, im Lesen, in Kunst, im Singen, im Aussehen, in der Figur, in der Kleidung, im Lachen, im Tanzen, im Laufen, im Sprechen und noch vielem anderen. Was gerade so kommt. Und während früher die Kinder angesagt
waren, die schlechte Noten hatten und so herrlich unangepasst schienen, sind es heute vermehrt die mit schlechten Noten, die von anderen ausgestoÃen werden, weil sie nicht mithalten können. Und ausgestoÃen wird oft. In einem Klima, in dem die Gruppe eine untergeordnete Rolle spielt und die individuelle Leistung des einzelnen Kindes im Vordergrund steht, ist Gruppenzugehörigkeit etwas geworden, was man sich verdienen muss. Sie sind nicht mehr alle eine Klasse und stehen zusammen, egal wie sie sind. Denn das sind und tun sie ja auch nicht mehr. Nein, jeder ist sich selbst der Nächste und den Letzten beiÃen die Hunde.
So sehr Kinder auch heute noch aneinander hängen und Freundschaft suchen wie alle Kindergenerationen vor ihnen, so scheinen doch Konkurrenz und Wettbewerb unter ihnen besonders ausgeprägt zu sein. Es wird zwar nicht gern gesehen, wenn jemand auffallend schlecht ist. Es wird aber auch nicht gern gesehen, wenn jemand besser ist. Nicht abschreiben lassen, keine Stifte verleihen, kein Essen abgeben, dafür nörgeln, herabsetzen, meckern, petzen, schneiden. Und bilde ich es mir ein, oder sind Einladungen zur Geburtstagsparty ein Instrument geworden, durch das Kinder einander ihre Macht demonstrieren? Wie bedrängt müssen sich Kinder fühlen, wenn sie anfangen, einander so heftig zu bekämpfen?
Förderunterricht, Nachhilfe, Therapien & Co.
Wie entwickeln wir Eltern uns im Laufe der Grundschuljahre? Nun, Eltern sind nicht gleich Eltern. Von Hamburg nach München, von Düsseldorf nach Dresden sind nicht nur die Schulsysteme völlig verschieden, sondern von Schule zu Schule, ja, sogar von Klasse zu Klasse scheinen auch die Elternschaften extrem unterschiedlich zu sein. Generell ist auffällig,
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