Muttersoehnchen
erinnere mich nur mühsam, was Frau Dingens eigentlich zur Analyse seiner letzten Musik-Klausur gesagt hat. Da es nie konkret wurde, sondern immer beim Diffusgeplauder geblieben war, konnte ich es mir nicht gut merken. Ich sage ihm also, was immer stimmt: Dass er sich darin üben solle, präziser zu formulieren und die Fragen genau zu lesen. Und dass ich das Buch geordert habe, das seine Bindestrich-Lehrerin wärmstens empfiehlt, aber nicht verbindlich vorschreiben darf. Und ich erzähle ihm, dass sie ihn mag und an ihn glaubt. Na ja, und da gebe es doch dieses Weltwärts-Programm. Das interessiert Maik nicht. Er will nur wissen, ob seine Klausur nachträglich nach oben korrigiert wird. »Nein, keine Chance.«
Maik setzt sich erstmal ans Klavier. »Wäre es nicht besser ...?« Den Rest der rhetorischen Frage verschlucke ich.
Natürlich sind die Elitegirls auch daheim bienenfleißig, was sie gerne leugnen. Verbissene Erfolge wirken nicht sympathisch, nur
Klugheit aus dem Stand. Am besten, man kann sich selbst gar nicht erklären, wie es zur Eins kam. Das kommt gut an auf Facebook. Das alte Spiel der Bescheidenheit funktioniert immer noch, meist ein Schülerleben lang. Bis Lehrer und Mitschüler das Kalkül hinter der Tiefstapelei begriffen haben, ist die Schulzeit zu Ende. Die Koketterie mit dem Verstand unterstreicht die eigene Intelligenz, und man muss sich nicht in die Karten schauen lassen. Jungs wie Maik nehmen die Aussage wörtlich: Ich tu gar nicht so viel. Und mit dem angeborenen männlichen Selbstbewusstsein kommt ihnen gar nicht in den Sinn, weniger intelligent zu sein. So tut er auch nicht viel und wundert sich, dass bei ihm weniger rauskommt.
Die zukünftigen Alphagirls haben aber noch einen ganz anderen, ganz natürlichen Vorsprung. Sie können um Punkte kämpfen, man könnte auch sagen: feilschen, auf eine Art, wie es einem Jungen nicht möglich ist, ohne dass er auf ewig das Gesicht verliert. Im Zwiegespräch texten die weiblichen Powerkekse ihre Lehrer zu und sich ein paar Punkte höher, verbindlich in der Form, knochenhart in der Sache. Und es muss ihnen noch nicht mal peinlich sein. Der Gedanke vom kleinen Mädchen, das es zu stärken gilt, so dass es die angeborene wie anerzogene Schüchternheit überwinden und sich endlich trauen kann, für die eigenen Rechte einzutreten, sitzt tief in allen Köpfen.
Die Beurteilung der mündlichen Mitarbeit ist die Manövriermasse, mit der man von einem guten Niveau leicht auf ein sehr gutes kommt und wo sich das Mädchen besser erinnert als jeder Lehrer, mit welchen klugen Beiträgen es den Unterricht bereichert hat. Wer vermag da zu sagen, es sei anders gewesen? Es funktioniert in fast allen Fächern, nicht nur in den weichen, und bei allen Lehrern, die gern mit sich reden lassen, wenn sie dafür nur etwas Anerkennung und Liebe zurückbekommen. So können sich die Mädchen hochquatschen, aber kaum runter. Eine gute Klausur legt die grobe Messlinie fest: Ein schweigsamer Schüler mit schriftlicher Bestnote wirkt immer tiefgründig, nie unwissend. So bekommt er eine bessere mündliche Note als ein schweigsamer Schüler mit schlechteren Klausurergebnissen. Der hat einfach nur keine Ahnung.
Hoffentlich kommt bald der Tag der letzten Prüfung, und dann ist die ganze Sache vorbei. Bis dahin muss ich Maik auf den Auslandsdienst eingeschworen haben. Der war meine Idee, Europa wird unser Kompromiss. Die meisten europäischen Plätze sind mit Billigfliegern gut zu erreichen. Mein Vorschlag ist letztlich eine Vorschrift, das versteht Maik blitzschnell. Eine, die ihm Ruhe vor mir schenkt. Deshalb willigt er ein und weiß natürlich auch, dass er jederzeit absagen kann, und soviel muss man da erstmal gar nicht ausfüllen.
Maiks Nervosität vor den letzten Klausuren wird täglich größer. Dabei ist es jetzt völlig unnötig, besonders aufgeregt zu sein: Die Noten der Abiklausuren fließen nur zu einem Drittel in die Gesamtnote ein. Außerdem schließt er sich einer Lerngruppe an und lernt, dass mir das Herz aufgeht, ohne Aufforderung und mit System.
Er hatte das Prinzip Schule dem Grunde nach verstanden: dass es in erster Linie um Leistungsbereitschaft geht und erst dann um den Leistungsstand. Wer faul ist, darf nicht dumm sein, und wer dumm ist, den rettet der Fleiß. Bei Note Drei treffen sich beide Kategorien. Doch ist sie auch gleichermaßen verdient? Der liebe Gott hat einen großen Zoo und die Talente ungerecht verteilt. Bei solchen Diskussionen ereifern wir
Weitere Kostenlose Bücher