Muttersoehnchen
uns oft. Ist einer, der sich stets bemüht, aber aus dem sich nicht mehr rauspressen lässt, nicht eigentlich der bessere Schüler? Besser, weil seine Lernerfolge aus dem System stammen? Und was verdient einer, der recht clever ist, aber alle Mühen scheut und keine Fleißpunkte sammelt? Die Antwort auf diesen Konflikt ist mittelmäßig: eine Drei.
Auf der Drei schwimmt der Schüler im ruhigen Fahrwasser, sie ist nah dran an der Zwei und weit weg von der Fünf; sie hält die Mutter vom Lehrer fern und den Lehrer von Ermahnungen ab. Die Aufteilung der sechs Noten auf fünfzehn Punkte ist etwas genauer, weil sie das Minus und das Plus gleich impliziert. Dennoch bleibt das Mittelfeld ein Sammelbecken, das alle Informationen enthält und keine preisgibt. Universitäten und große Unternehmen, die ein duales Studium finanzieren, suchen gezielt. Sie verlassen sich schon lange nicht mehr auf Abschlussnoten, auch nicht auf die guten, und laden zu eigenen Tests ein, denen sie deutlich mehr vertrauen.
Eine Drei ist für sie bereits inakzeptabel. Es gibt so viele Abiturienten, dass es Unternehmen wie Uni ausreicht, sich nur mit der oberen Hälfte zu beschäftigen. So großartig die inneren Werte und der Geist eines schlechten bis durchschnittlichen Abiturienten auch sein mögen, so niederschmetternd gering ist die Chance, dass er oder sie sich im Bewerbungsverfahren als kluger Bursche oder schlaue Lady vorstellen kann. Für die untere Hälfte ist das Abitur längst nicht mehr wert als eine ausgebaute Mittlere Reife. Abiturientenlehrlinge aber sind noch nicht einmal besonders beliebt. Sie gelten als faule Besserwisser. Einzig, dass sie nicht mehr dem Jugendschutz unterliegen und meistens einen Führerschein haben, macht sie halbwegs attraktiv.
Maik erkennt leider zu spät, dass man entweder ganz oben mitschwimmen muss oder die Note so gut wie keine Rolle mehr spielt. Entweder eins oder keins. Ohne Top-Abitur schränkt sich die Auswahl der Möglichkeiten dramatisch ein. Unser Sohn wusste zwar schon lange, dass er nicht zu den Besten gehörte, aber es schmerzte ihn trotzdem, je mehr es Realität wurde. Seine größte Leistung war, dass er tapfer und diszipliniert gegen diesen Chancenlosigkeit ankämpfte.
Maik hatte auch verstanden, dass bei der Bewertung Wohlverhalten eine große Rolle spielt, als Teilmenge der Anstrengungsbereitschaft. Und in der 13. Klasse versucht er, sich anzupassen, sich zu sortieren, auf den letzten Metern fleißig zu sein. Das fällt ihm schwer. Was Montag noch gelingt, hält er kaum bis Donnerstag durch. Und es fällt ihm schwer aufzuholen. Immer häufiger erholt er sich in seiner Nische: Musik wird für ihn täglich wichtiger. Im Tonstudio gibt es ständig was zu tun. Besser so, denke ich, als Kiffen oder magische Pilze. Dabei habe ich die nur noch nicht gefunden. Ein Drogenverdacht ließe mich Postgeheimnis und Privatsphäre bedenkenlos ignorieren, skrupellos würde ich alles öffnen und jeden Winkel durchsuchen. Aber ich schwanke so schon hin und her zwischen kontrollieren und laufen lassen, manchmal im Stundentakt. Wenn ich glaube, mal wieder richtig durchgreifen zu müssen, drohe ich damit, dass er seinen Probenraum räumen muss. Das ist nicht schön, aber wirkungsvoll.
Die Gymnasiallaufbahn ist auch nicht schön, aber auch nicht wirkungsvoll. Sie ist bar einer soliden Grundlagenbildung und der Humboldtsche Bildungsgedanke »Lernen als Selbstzweck« längst ersatzlos abgeschafft.
Und dennoch tragen die Lehrer des staatlichen Gymnasiums Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit vor sich her wie ein stolzes Schild, und tun dabei so, als würde niemand bemerken, dass es längst zerbrochen ist. Dabei ist es ihnen noch nicht einmal peinlich, wenn aus den Absolventen nichts wird. Es wirkt perfide, Schüler in dem Glauben zu entlassen, sie seien gewappnet für den Kampf auf der Karriereleiter, für den Beruf und fürs Leben, sie kämen jetzt gut allein zurecht, ungeachtet ihrer Herkunft. Das staatliche Gymnasium ist eine Hauptschule für ehrgeizige und finanziell potente Eltern. Indem Unterschiede geleugnet werden, werden sie manifestiert. Die noch ehrgeizigeren und potenteren Eltern sind mit ihren Kindern schon lange zum privaten Gymnasium weitergezogen. Das ist elend zynisch.
Was Maik und Lysa besonders gut können, haben sie nicht in der Schule gelernt. Weder praxistaugliches Englisch noch sportliche Fitness, weder das Singen noch das Klavierspiel, und auch ihr Know-how mit der Hard- und
Weitere Kostenlose Bücher