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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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hielten die Detailfragen beim Mittagessen auf Trab, die Familie stritt ausdauernd über unser unterschiedliches Verständnis der Regeln und Verordnungen. Bei welcher Fächerkombination musste man den Zusatzkurs SoWi belegen? Wurden die Leistungskurse in der 13/2 anders gewichtet, und wenn ja, wie? Galt es wirklich für jedes Fach, dass die mündliche Mitarbeit zu 50 Prozent zählte, auch für Sport? Und: Wie viele entschuldigte Fehlstunden durfte man eigentlich haben und wie viele Defizite in der Benotung?
    Es gab im Vorfeld einen Informationsabend, bei dem man gut aufpassen und fein mitschreiben sollte. Der Teufel ist ein Eichhörnchen: Die Gefahr, die Zulassung für das Abitur zu gefährden, weil man in der Qualifikationsphase einen Kurs übersehen oder die Anzahl der Defizite unterschätzt hatte oder aber zu häufig ferngeblieben
war, schien deutlich höher als die Wahrscheinlichkeit in den Abiturklausuren selbst durchzufallen.
    Das Jahreszeugnis der Stufe 11 wischte zum letzten Mal die Tafel sauber, hier zählte noch kein Kurs für den finalen Abschluss. Es war wie in allen vorherigen Klassen: Hauptsache, man kam durch. Die 11. Klasse galt als gechillt, und solange die Schulzeit noch 13 Jahre dauerte, nutzten einige der guten Schüler das Jahr für einen Auslandsaufenthalt. Auch unsere Lysa hat das getan. Ab der Stufe 12 wurden die Punkte fürs Abitur gesammelt, dann konnte man auch keinen Patzer mehr ausbügeln. So verstand es Maik ganz richtig, doch er übersah dabei, dass man in die Fächer, die man in der 11 abgewählt hatte, nie mehr einsteigen konnte. So kam ihm Französisch abhanden, was ihm leid tat, als die hübschen Austauschschülerinnen kamen, und er stieß gleichzeitig Biologie, Physik und Chemie ab, was er nicht bedauerte, ihn aber in die Bredouille brachte.
    Das fehlende Französisch zwang ihn dazu, Informatik bis zum Schluss durchzubuchen, und die drei abgestoßenen Naturwissenschaften zwangen ihn, Mathe als schriftliches Abiturfach zu wählen. Beinahe hatte er es geschafft, keinem der drei vorgesehenen Aufgabenfelder, dem sprachlich-literarisch-künstlerischen, dem gesellschaftswissenschaftlichen und dem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Aufgabenfeld die vorgeschriebene, schwerpunktmäßige Bedeutung zu geben. Zum Glück passte Maiks Stufenkoordinator auf und warnte ihn, wenn er Fächer entsorgte, die das Regelwerk unbedingt vorsah. »Unter Fächerwahl habe ich mir was anderes vorgestellt«, beschwerte sich Maik. Das sei eine so magere Auswahl wie bei einer Pauschalreise.
    Ich schlug ihm vor, dass er sich bei den Pionieren der reformierten Oberstufe beschweren möge, bei denen, die sich vor über 30 Jahren als erste dem Leistungskurs Große Pause verschreiben durften. Das war das Kurssystem mit sehr individueller Spezialisierung, das sich als Mittler zwischen Schule und Hochschule verstand. Jeder wie er wollte und am besten konnte, mit der einzigen Hürde, dass auch noch ein paar andere dieselben Interessen wählen mussten, damit der Kurs überhaupt zustande kommen konnte. Daran scheiterte die Kursplanung oft genug. Und auch daran, dass manche
den Lehrer nicht mochten, der den Kurs geben sollte. Früher hingen Kursthemen samt Lehrernamen rechtzeitig am schwarzen Brett aus. Da wählte man doch lieber den netten Lehrer in einem Fach, das einem nicht ganz so lag statt im Lieblingsstoff an Langeweile zu sterben. Heute ist die Schulleitung klüger und verrät nichts mehr, was aber den Schüler zu schrägen Spekulationen animiert, wer welchen Kurs behalten wird, abgeben muss oder übernehmen könnte.
    Ich kläre Maik im Kurzabriss über die Geschichte der reformierten Oberstufe auf und darüber, welche Probleme sie uns gebracht hat. Erstaunlich viele Kursindividualisten bekamen ihre persönliche Allgemeine Hochschulreife, die den Namen schon ab dem ersten Jahrgang nicht mehr verdiente, weil das Letzte, was man von Mathe gehört hatte, der Dreisatz war. Da wunderte ich mich, dass Ruth Maier doch zur Abschlußfeier erschien, von der ich immer gedacht hatte, die packt das nie, und Karsten Lampe plötzlich von Studienplänen schwadronierte, den ich immer nur in der Caféteria beim Doppelkopf gesehen hatte.
    Die Kurspioniere bauten im Anschluss an die Schule ihre Allgemeine Hochschulreife zur speziellen Reife aus, in endlos langen, bevorzugt schöngeistigen oder Lehramts-Studiengängen verlängerten sie ihren Aufenthalt im Schutzprogramm, das sie sofort infrage stellten, als es ihnen durch

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