Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Handleinen eingewickeltes Haushaltsbuch wird jedes Jahr neu als ultimativer Bastelvorschlag serviert. Und in meiner unmittelbaren Nachbarschaft liegen sowieso keine Homes und Gardens .
Nachdem wir den Heftkauf erfolgreich erledigt haben, lasse ich meine Mutter mit dem Einkaufswagen hinter mir und gehe gezielt durch den Laden. Schnell finde ich mein Haarspray für trockenes Haar mit Splissbildung und das Shampoo gegen Alterserscheinungen für das Haar ab vierzig.
Nach einer guten Viertelstunde habe ich meinen Einkauf erledigt und begebe mich auf die Suche nach Muddi. Zuletzt habe ich sie im mittleren Teil des Marktes gesehen, etwa in Höhe der Regale mit den Buttertoast-Packungen. Nach meinen Schätzungen müsste sie nun ungefähr zwei Reihen weiter sein, also in etwa bei den Mixed Pickles . Aber dort ist sie nicht.
Ich suche weiter. Sollte sie heute schneller sein als gewöhnlich? Hat sie womöglich ihren Einkaufszettel zu Hause vergessen und sich in den Gängen verlaufen? Auch am Kühlregal finde ich sie nicht.
Langsam werde ich ungeduldig. Mein Magen grummelt vor Hunger, und Wasser lassen müsste ich inzwischen auch. Da entdecke ich Muddi endlich – sie befindet sich wieder am Anfang unserer Einkaufsstrecke, beim Tchibo-Regal. Da war ich vorhin auch, um Zeit zu sparen und Muddi daran zu hindern, genau das zu tun, was sie jetzt augenscheinlich tut.
Aus sicherem Abstand beobachte ich sie. Sie hat ihre Lesebrille aufgesetzt und sucht nach dem Haltbarkeitsdatum auf der Kaffeepackung, so wie sie es bei jedem Lebensmittel macht. Wir kaufen nie besonders viel ein, aber sie legt trotzdem großen Wert darauf, dass ihre Essensvorräte mindestens drei Monate haltbar sind, besser noch drei Jahre.
Ich habe eine Vision, sehe Bilder in HD -Qualität vor mir: Der Winter in diesem Jahr dauert bereits zwölf Monate an. Sie ist von der Außenwelt abgeschnitten. Vor dem Hungertod bewahrt sie nur eines: der eigene Supermarkt im Keller ihres Hauses. Und es ist nicht nur ein einfacher Laden! Nein! Sie beherbergt dort einen wahren »Mega-Markt« – mit Regalen voller Lebensmittel, Klopapier und Pflaster. Dazu hortet sie in einem überquellenden Arzneischrank tonnenweise Aspirin und Magentabletten. Die Nachbarn, die ganze Straße, ach, sogar der gesamte Stadtteil, in dem sie wohnt, würde sich durch einen Schneesturm – auf Kufen, mit Schneeschuhen, Kind und Kegel im Gepäck – zu ihr durchschlagen, um Hilfe zu suchen. Denn alle wissen: Hier wohnt die Frau, die in guten Zeiten für genau solche Katastrophen vorgesorgt hat! Später werden diese Leute dann zum Dank ihren zwanzig Jahre alten maroden Durchlauferhitzer reparieren oder den Teppich im Flur neu verlegen.
Das ist der eigentliche Grund für ihr langsames, sorgfältiges Einkaufen – und für die akribische Überprüfung des Haltbarkeitsdatums auf allen Lebensmitteln!
Und ich sehe sie beinahe schon vor mir, die dankbaren Nachbarn, auf allen vieren die PVC -Ware verlegend, die Muddi sich für ihre Küche gewünscht hat. Zwei junge Frauen, die sich aus Muddis Regal Pomps-Kindergries nehmen durften, putzen mit Elan das Fensterbrett – nicht ohne vorher die zwölf Alpenveilchentöpfe beiseitegestellt zu haben, die meine Mutter vor dem Velux-Fenster angesammelt hat!
Ein soeben spontan gebildeter gemischter Chor – bestehend aus vier Kleinkindern (Muddi hat ihnen im Wintersturm den sehnlichen Wunsch nach Lollis erfüllt), drei Opas an Krückstöcken (sie gab ihnen einige Flaschen ihres Merlots, Jahrgang 1987, sowie Zahnprothesentabs) sowie Muddis Gärtner (den sie mit fünf Flaschen Bier und Kaiser Natron versorgt hat) – singen voller Inbrunst:
»Du bist das Rettungsboot auf meinem Ozean!
Du bist der Wirbelsturm in meinem Wasserglas!
Du bist in meiner Winterzeit der Sonnenstrahl!
Merci, dass es dich gibt!«
Ich werde abrupt aus der Fantasie gerissen, als Muddi mich mit einem ungeduldigen Blick am Ärmel zieht.
»Kommst du endlich?«, fragt sie. »Das dauert ja mal wieder ewig, mit dir einkaufen zu gehen.«
2
»An Waffen kommt man hierzulande nicht so leicht ran.«
D er nächste Donnerstagmorgen, und ich sitze wieder bei Muddi am Esstisch, trinke Kaffee und esse Toastbrot mit Krabbensalat. Das mache ich jede Woche. Zu Hause verzichte ich auf Krabben, weil Lazlo, mein ungarischer Gatte, Meeresfrüchte eklig findet. In einer Beziehung muss man Kompromisse eingehen. Und das tun wir beide: Ich esse kaum Fisch, dafür isst mein Mann inzwischen Vollkornbrot, obwohl er
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