Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
im Grunde seines Herzens viel lieber Weizenmehlprodukte zu sich nehmen würde – ohne Ballaststoffe und rundum ungesund.
Diese »Vorliebe« hat er sogar erfolgreich an seinen Sohn Tibor weitergegeben. Tibor, Laszlos Sohn aus erster Ehe, hat inzwischen eine eigene Wohnung, führt dort die Tradition fort, Schwarzbrot zu verschmähen – im Brotkasten finden sich lediglich Toastbrot und Milchbrötchen.
Der Ungar an sich kennt ja kein Schwarzbrot. Erst wenn Ungarn die Grenzen zu ihren Nachbarländern überschreiten, entdecken sie, dass es anderswo – vor allem aber in Deutschland – eine Unmenge von Brotsorten gibt. Manche freunden sich damit an, andere nicht. Meinem Mann sind Körner noch heute zutiefst suspekt. Vor allem, wenn sie in der Brotscheibe mit bloßem Auge noch erkennbar sind. Er sieht sich die Getreidesamen durch seine Lesebrille an und verzieht das Gesicht, sodass man beinah vermuten könnte, Laszlo habe Angst vor Roggenkörnern. Und zwar vor jedem einzelnen …
Die Packung Krabbensalat ist inzwischen leer, doch Muddi spricht noch immer über Margot, ihre langjährige Freundin. Margot war früher einmal eine wunderschöne Frau. Auf alten Fotos blickt einen eine dunkelhaarige, verführerisch wirkende Frau mit markanten Gesichtszügen an. Ihre Züge haben sich im Laufe der Zeit kaum verändert, lediglich das Haar ist mittlerweile schlohweiß geworden. Noch heute – Margot ist mittlerweile sechsundachtzig Jahre alt – sieht man, dass sie mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein gesegnet ist.
Margot ist unglaublich korrekt. Ansagen werden gemacht und immer eingehalten. »Ich bin morgen um 11 Uhr 30 bei dir«, sagt sie beispielsweise, und schiebt nach: »Kannst dich ja vorher schon schminken und anziehen.« Und damit steht fest, dass Margot am folgenden Tag weder um 11 Uhr 29 noch um 11 Uhr 31 bei Muddi ist, sondern Punkt 11 Uhr 30 an der Haustüre klingelt. Und genauso sicher wie Margots pünktliche Ankunft ist, dass Muddi sich darüber bei mir beschwert. »Das macht mich wahnsinnig, Laura! Die ist auf die Sekunde pünktlich! Ich hatte noch nicht einmal meinen Lippenstift nachgezogen, da stand Margot vor der Tür. Sag mal, wieso muss sie immer um Punkt zwölf Uhr Mittag essen?«
Ich antworte dann für gewöhnlich: »Weil Margot einen strukturierten Tagesablauf hat! Und das schon seit rund fünfzig Jahren. Und weil sie beschlossen hat, daran auch dann nichts zu ändern, wenn sie als Witwe allein in ihrer Seniorenwohnung lebt.«
Auf die Feststellung, dass ihre beste Freundin weitaus organisierter ist als sie, reagiert meine Mutter jedes Mal mit Unmut: Sie stößt ein langgezogenes »Pfft …« aus und zuckt mit den Schultern.
Die Freundschaft zwischen Margot und meiner Mutter besteht schon sehr lange. Genauer gesagt, seit dem Zeitpunkt, als ihre Männer sich kennengelernt hatten. Mein Vater hatte Margots Mann einen Golf verkauft. Sie stellten fest, dass sie den gleichen Humor teilten, stundenlang über vergangene Zeiten plaudern konnten und auch sonst ähnliche Vorlieben hatten. Schon bald unternahmen die Paare immer mehr zusammen, sahen sich regelmäßig und feierten auch stets gemeinsam.
Während ich nun also an Muddis Eichentisch mit Marmorplatte sitze, genüsslich von meinem Brot abbeiße und den Worten meiner Mutter lausche, wechselt sie wieder einmal unvermittelt das Thema.
»Du, Laura, die Margot und ich, wir haben gestern überlegt, wie wir uns das Leben nehmen können, ohne großartig leiden zu müssen. Aber es ist uns keine richtig gute Lösung eingefallen. An Waffen kommt man hier leider ja auch nicht so leicht ran.«
Ich kann kaum fassen, was ich da gerade im Plauderton zu hören bekomme. Doch weil ich meine Mutter kenne, atme ich erst einmal durch. »Nee, Muddi«, sage ich dann gefasst, »aber in Ohio, da würdest du vermutlich mit Margot in einen Armyshop gehen, dir eine Magnum 45 aus dem Regal reichen lassen und dann zu Hause – nach dem dritten Stück Sachertorte mit Sahnehäubchen – zuerst Margot einen Kopfschuss aus nächster Nähe verabreichen und anschließend dir selbst das Gehirn wegpusten.«
Muddi steht deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie mit mehr Entsetzen gerechnet hat. Sie zuckt lediglich mit den Schultern und schweigt.
Man stelle sich das mal bildlich vor: Eine Endsiebzigerin und eine Mittachtzigerin sitzen im Lichterschein des vergoldeten Kristallleuchters auf dem geblümten Sofa zwischen den mit Kreuzstich bestickten Couchkissen und begehen den ultimativen
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