Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
erleben wir mitunter noch heute jene heftigen Achterbahnfahrten der Gefühle, wie wir sie in der Pubertät erlebt haben.
Wenn Muddi etwa meint: »Laura, du trägst ja gar kein Unterhemd! Du musst aber ein Unterhemd tragen!«, dann überlege ich tatsächlich, ob sie nicht recht hat. Zumindest im ersten Moment. Weil ich für ein, zwei Sekunden tatsächlich der Sinnestäuschung unterliege, ich sei erst fünf Jahre alt und meine Mutter hätte mich gerade bei einer Missetat erwischt.
Nicht selten schwanken die abstrusen Erlebnisse mit unserer Mutter zwischen Komik und Tragik. Mein Lebensmotto lautet daher: »Lache jetzt, weine später!«
Ich glaube, wenn meine Mutter wüsste, wie mir zumute ist, würde sie mich verstehen und mir vielleicht sogar recht geben. Sie war ja auch nicht immer so wie heute.
Und sollte ich nur einen Hauch ihres Temperaments geerbt haben und Tag für Tag ohne meinen Partner aufstehen, mir alleine Essen kochen und Haus und Garten hüten müssen – vielleicht würde ich mich dann ganz genauso verhalten wie sie. Bei diesen Aussichten kann ich nur darauf hoffen, dass meine Nachkommen mit mir mal genauso viel Geduld haben wie ich mit Muddi …
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»Am liebsten würde ich das Haus anzünden und mich gleich mit!«
S eit Tagen geht mir eine Frage nicht mehr aus dem Kopf: Gibt es irgendwo da draußen noch jemanden wie mich – eine Tochter, die manchmal daran verzweifelt, dass sie ihre Mutter ständig betüddeln muss? Und gibt es noch eine Mutter wie meine? Eine Mutter, die un-glaub-lich viel redet und dabei trotzdem oft nichts sagt?
Falls es tatsächlich noch so eine bedauernswerte Tochter wie mich auf diesem Planeten geben sollte: Bitte umgehend bei mir melden! Ich träume nämlich oft davon, mit Leidensgenossinnen eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Wenn wir besonders viele sind, wird uns ein namhafter Hersteller vielleicht sogar Papiertaschentücher umsonst liefern. Im Gegenzug kann der Hersteller dann Werbung mit Bildern aus der Selbsthilfegruppe »Muddi macht mich meschugge« (Mumamime) machen, um das extrem hohe Aufsaugpotenzial seiner Tücher zu demonstrieren.
Gerade frage ich mich, ob das nicht die Geschäftsidee wäre. Und lese vor meinem inneren Auge schon die großen Werbebotschaften in BILD , MOPO und etlichen Frauenmagazinen: In riesigen Lettern verkündet dort beispielsweise Tanja S., 41, Tochter von Else, 72, in der neuesten Ausgabe der Tina : »Macht Muddi dich meschugge oft / greif dir ein Tüchlein weich und soft!«, nachdem Else sie mit dem Spruch: »Ich glaube, morgen steh ich einfach nicht mehr auf, Kind!«, einmal wieder an den Rand der Verzweiflung getrieben hat.
Eine andere Anzeige stelle ich mir auch gleich vor. Rita, 79, hat ihre Tochter Beate W., 47, mit der Behauptung frustriert: »Ich brauch meinen Rollator nicht, Kind! Damit sehe ich ja aus wie ’ne Oma!« Neben dem Foto ihrer Tochter prangt nun der Reim: »Macht deine Mutter dich verrückt / ist ein Tüchlein schnell gezückt!«
Aber damit erst einmal genug. Wenn jemand aus der Marketingabteilung eines großen Taschentuchherstellers diese Geschichte liest – ich bin für Angebote offen!
Aber wie komme ich überhaupt auf solche Ideen? Ich will es Ihnen erklären. Donnerstags fahre ich mit Muddi einkaufen. Bei einer Einkaufstour kann man Erfahrungen von unschätzbarem Wert machen. Wenn ein solches Ereignis alle zwei Jahre stattfinden würde, wäre es grandios. Doch leider findet es jede Woche statt.
Wie jeden Donnerstagmorgen lande ich auch dieses Mal nach rund sechzig Kilometern auf Landstraßen und Autobahn am gedeckten Frühstückstisch meiner Mutter. Der Kaffee duftet, ich gebe es zu, verführerisch, und dem frisch gerösteten Toastbrot mit leckerem Aufschnitt kann ich einfach nicht widerstehen. Dabei entwickelt sich schnell eine rege, mitunter hitzige Diskussion über einzelne Familienmitglieder und ihr Gebaren.
Der Kaffee schmeckt köstlich, jagt mir aber bereits nach der dritten Tasse den Herzschlag bis zur Schädeldecke.
Als ich dies zaghaft erwähne, schüttelt Muddi energisch den Kopf. »Koffein?«, sagt sie. »Pah, Laura, doch nicht in meinem Kaffee! Gott bewahre! Das bisschen …«
Ich aber weiß aus Erfahrung: Handgebrühter Filterkaffee ermutigt meine Mutter zu recht großzügiger Pulverdosierung!
Meine Mutter versucht, einige der Haarsträhnen, die sich aus ihrem beinahe vollständig ergrauten Dutt gelöst haben, wieder in das dünne gelbe Gummiband zu stecken, das sie anstatt eines Haarbandes
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