Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
ruhig alle wissen, dass sie dem Urteil des Wächters vertraute. Sie hatte nicht vor, ihn wie ein Tier zu behandeln, wenn er keines war, und die anderen sollten es genauso machen. Solange sie eine Empousa war, würde es so bleiben. Dieses Reich hatte eine neue Herrscherin, daran sollten sich gefälligst alle gewöhnen. Noch immer lächelnd, wandte sie sich wieder Floga zu. »Hast du verstanden, was ich von dir möchte?«
»Ja, Empousa.«
»Gut. Dann könnt ihr jetzt anfangen. Der Wächter und ich werden in Kürze zu euch stoßen.«
Floga machte große Augen, sagte aber nichts, sondern knickste und eilte vom Balkon. Die Hohepriesterin und ihr Biest blieben allein zurück.
»Guten Morgen, Asterius«, sagte Mikki leise.
Und das reichte. Seinen wahren Namen aus ihrem Mund zu hören gab ihm den Rest. Er konnte nicht mehr gegen sein Verlangen und seine Sehnsucht ankämpfen, ihr nahe zu sein. Trotz Hekates Zauberbann und dem Schmerz, den er würde erleiden müssen, wenn der Frühling kam oder die Tore der Unterwelt sich öffneten –, solange sie zusammen waren, konnte er ihre süße Stimme hören und, wenn das Schicksal ihm hold war, die Berührung ihrer Hand fühlen.
»Verzeiht mir, Mikado.«
»Was soll ich dir verzeihen?«
»Wie der Abend gestern zu Ende gegangen ist. Ich habe keine Erfahrung mit …« Er hielt inne und suchte nach Worten, die er nie ausgesprochen hatte.
»Da gibt es nichts zu verzeihen«, erwiderte sie. »Es ist schwer, immer das Richtige zu sagen oder zu tun, vor allem, wenn man mit einer neuen Situation konfrontiert ist. Manchmal ist es dann leichter wegzulaufen.«
»Das klingt, als wäre ich ein Feigling.«
»Das klingt, als wärst du menschlich.« Sie lächelte.
Schockiert sah er sie an, aber dann breitete sich ganz langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, bis es schließlich sogar seine Augen erreichte. »Ihr seid eine außergewöhnliche Frau, Mikado.«
»Na ja, sehen wir mal, ob du das auch noch denkst, wenn der Tag vorüber ist.«
Er zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.
»Ich möchte, dass du dich heute mit all deiner Muskelkraft in die Arbeit stürzt. Dann bist du heute Abend so müde, dass du gut schlafen kannst.«
Seine dunklen Augen blickten tief in ihre. »Ihr habt gewusst, dass ich letzte Nacht nicht geschlafen habe?«
»Sei nicht so beeindruckt von meiner Beobachtungsgabe. Man braucht keine Göttin zu sein, um das zu wissen. Du siehst ziemlich mitgenommen aus heute Morgen.«
»Dabei bin ich für gewöhnlich so hübsch«, erwiderte er trocken.
Sie stutzte. »Hast du etwa schon wieder einen Witz gemacht?« Mikkis Lachen schwebte wie Musik auf der sanften Brise, als sie nebeneinander den Balkon verließen. Keiner von ihnen bemerkte die Frauen, die mit großen Augen aus den Fenstern des Palasts spähten und ihnen nachblickten.
22
Mikado hatte nicht übertrieben mit ihrer Ankündigung, seine volle Muskelkraft zum Einsatz zu bringen. Noch nie in den langen Jahrhunderten seines unsterblichen Lebens hatte Asterius so viele Körbe geschleppt, so viele Löcher gegraben.
Und noch nie war er so glücklich gewesen.
Den ganzen Tag arbeitete er an Mikados Seite. Sie überwachte die Arbeit aktiv, das heißt, sie scheute auch nicht vor den schmutzigsten Aufgaben zurück. Er merkte, dass die Frauen des Reichs nicht begeistert waren von den anstrengenden Tätigkeiten, die ihre Empousa ihnen aufgetragen hatte, aber sie waren offensichtlich zufrieden damit, dass diese mit ihnen im Dreck wühlte. Und nicht nur das – Mikki arbeitete doppelt so hart wie alle anderen und schien überall gleichzeitig zu sein. Am erstaunlichsten war es vielleicht, wie fröhlich sie ans Werk ging. Man konnte tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass es ihr Vergnügen bereitete, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn sie den anderen zeigte, wie die Erde um die Wurzeln der Rosenstöcke bearbeitet werden musste. Sie schreckte auch nicht vor dem widerlichen Dünger zurück, ganz im Gegenteil, sie half, ihn mit der Erde zu vermischen, lachte dabei und wunderte sich scherzhaft darüber, dass so ein scheußlicher Geruch die süßen Rosen gedeihen ließ.
Asterius ignorierte die Blicke der Frauen. Daran war er gewöhnt. Ganz gleich, wie oft er ihnen begegnete, die Frauen des Reichs fühlten sich in seiner Gegenwart nie wohl. Und jetzt noch weniger als sonst. Sie wussten alle, was er getan hatte und wie wütend die Göttin auf ihn geworden war. Auch sie hatten für seinen Fehler bezahlt. Natürlich waren sie
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