Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
ausruhen, Göttin?«
»Ja, Sevillana, du brauchtest nur zu fragen. Ich würde mich niemals von meiner Empousa abwenden – nicht einmal, wenn sie einen Fehler gemacht hat. Schaut her!« Mit einer ausladenden Handbewegung schob Hekate den Nebel beiseite. Er öffnete sich wie eine Tür, und dahinter kam eine wunderschöne Szene zum Vorschein, eine herrliche Wiese voller blühendem Klee, umgeben von großen Kiefern, deren Nadeln aussahen wie riesige Staubwedel. Eine schlanke Gestalt trat auf die Wiese, hüpfte und tanzte, gefolgt von einer Gruppe junger hübscher Frauen. Ihre fließenden Chitons waren verführerisch um ihre Körper geschlungen, die stark und jung aussahen, obwohl sie außergewöhnlich und nur halb-substantiell wirkten.
Auf einmal erkannte Mikki eine der Frauen, und ein Schock durchfuhr sie.
»Mama!«, rief sie.
Ehe Mikki losstürzen konnte, sagte Hekate leise: »Das ist nicht deine Zeit, Mikado. Dein Schicksal hat sich noch nicht erfüllt.«
Durch einen Tränenschleier starrte sie die Göttin an. »Aber es ist meine Mutter, nicht wahr?«
»Ja, sie ist es tatsächlich. Und wenn du genau hinschaust, dann siehst du dort auch deine Großmutter.«
Atemlos betrachtete Mikki die Szene, und dann erkannte sie die hinreißende junge Frau, die an der Hand ihrer Mutter tanzte. Unzählige Male hatte sie in dieses schöne Gesicht geblickt, als es schon vom Leben und von Weisheit gezeichnet war.
»Wo sind sie?«
»In den Elysischen Gefilden«, antwortete Sevillana mit ehrfürchtiger Stimme. »Dort werden sie ewig jung sein, glücklich und frei.«
»Nimm deinen Platz bei ihnen ein, Sevillana. Deine Verbannung ist vorbei.«
Langsam erhob sich die alte Frau, wandte sich Mikki zu und umarmte sie fest. »Ich wünsche dir ein glückliches Leben, mein Schatz«, flüsterte sie.
»Sag meiner Mutter und meiner Großmutter, dass ich sie liebe«, antwortete Mikki ebenfalls flüsternd.
»Das werde ich. Sie werden ebenso stolz auf dich sein, wie ich es bin, meine Tochter.«
Sevillana überschritt die Grenze des heiligen Kreises und ging auf die Göttin zu. Vor Hekate blieb sie stehen, knickste tief und begann erneut zu schluchzen. Doch die Göttin nahm sie in die Arme und küsste sie auf beide Wangen.
»Nimm meinen Segen mit dir in die Elysischen Gefilde«, sagte Hekate.
Die alte Frau ging zu dem Paradiestor, das Hekate vorhin geöffnet hatte, und als sie hindurchtrat, verwandelte sich ihr Körper. Das Alter fiel von ihr ab wie ein abgelegter Mantel, und mit einem Freudenschrei nahm die schöne junge Sevillana ihren Platz inmitten der tanzenden Frauen ein. Dann verblasste das Tor, und außer regenschwerem Nebel und Dunkelheit war nichts mehr zu erkennen.
»Ich freue mich, dich wiederzusehen, meine Empousa«, sagte Hekate.
Mikki wischte sich die Tränen ab und lächelte die Göttin an. »Auch ich bin unsagbar glücklich. Wenn ich gewusst hätte, dass ich so etwas tun kann – Euch herbeirufen –, dann hätte ich schon vor Monaten den Kreis beschworen und mich an Euch gewandt.«
»Ah, aber dann hätte dir ein Teil der Beschwörung gefehlt – das Salböl einer Empousa. Dafür hast du Sevillana gebraucht.«
»Ihr habt recht – wie immer. Ich weiß nicht … ich habe heute so viel gelernt, dass mein Kopf gar nicht alles auf einmal verarbeiten kann. Ich bin so froh, dass Ihr Sevillana vergeben habt.« Mit einem überraschten Blinzeln stellte sie fest, dass noch mehr Puzzleteile zusammenpassten. »In der ersten Nacht, die ich im Reich der Rose verbracht habe, habt Ihr gesagt, Ihr hättet einen Fehler gemacht und wolltet ihn korrigieren. Da ging es um Sevillana und Asterius, nicht wahr?«
»Ja.« Hekate seufzte, und es klang in Mikkis Ohren erstaunlich menschlich. »Ich hätte sie nicht so hart bestrafen dürfen. Sevillana war jung und egoistisch – das wusste ich schon, als ich sie zu meiner Empousa gemacht habe. Aber irrtümlicherweise habe ich gehofft, durch die Macht des Blutes würde sie rasch und nachhaltig reifen. Doch so kam es nicht.«
»Und was ist mit Asterius?«, fragte Mikki und hatte das Gefühl, sie müsste den Atem anhalten.
»Das war mein größter Fehler. Ich habe ihn mit dem Herzen und der Seele eines Mannes ausgestattet und mich dann geweigert zu akzeptieren, dass er wesentlich mehr ist als ein Tier. In dieser Hinsicht war ich noch egoistischer als seine Mutter, die immer nur an ihre eigenen Fehler denken konnte, wenn sie ihn anschaute. Es war nicht recht von mir, ihm eine Partnerin zu
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