Mythor - 032 - Das Orakel von Theran
Zudem war Mythor sich seiner Sache gar nicht ganz sicher; er mochte auch nur einer Täuschung zum Opfer gefallen sein.
Wieder brach jemand aus der Reihe der Schaulustigen aus, diesmal war es eine Frau, und schloss sich ihnen an.
Mythor sah zu seiner Linken die fünfmannshohe Statue eines Vielarmigen. Ihm gegenüber kauerte ein tierisches Wesen mit einem Frauenkopf. Mythor musste immer höher zu den Statuen aufblicken, und er war beeindruckt.
Eine seltsame Spannung hatte von ihm Besitz ergriffen. Luxons Anblick – falls er es wirklich gewesen war – hatte ihm wieder Gorels Warnung in Erinnerung gerufen. Aber konnte sie wirklich auf Luxon bezogen gewesen sein? Es erschien Mythor als unwahrscheinlich, dass dieser Glücksritter irgendeinen schädigenden Einfluss auf das Orakel ausüben konnte.
Maluk, der Andeutungen über Bestrebungen gemacht hatte, die gegen ihn im Gange seien, müsste ihm eigentlich Auskunft geben können.
»Kennst du einen Mann, der sich Arruf oder Luxon nennt?« fragte er den Orakeldiener und gab ihm eine genaue Beschreibung. »Hast du in letzter Zeit einen solchen Mann in Theran gesehen?«
»Wäre dieser Mann hier, so wüsste ich es«, antwortete Maluk. »Vergiss ihn und widme deine Gedanken wichtigeren Dingen. Du bist an der Pforte, Mythor!«
Mythor stellte überrascht fest, dass er das riesige Tor erreicht hatte. Ihn schwindelte, als er emporblickte und die Reliefs, die den Torbogen zierten, entschlüsseln wollte. Die Darstellungen waren ineinander verschlungen und nicht auseinanderzuhalten. Er bemühte sich vergeblich, Einzelheiten zu erkennen.
Mit dem nächsten Schritt kam er unter den steinernen Bogen und stand an dem großen Tor. Es hatte ein Gerüst aus dicken Holzbalken, die von schweren Eisenklammern zusammengehalten wurden. Die Zwischenräume waren mit Steinblöcken ausgefüllt.
Mythor blickte zurück und sah, dass inzwischen ein ganzes Dutzend Leute seinem Beispiel gefolgt waren. Er zuckte leicht zusammen, als er vom Tor ein Quietschen und Ächzen vernahm. Er drehte sich wieder um und sah, wie sich vor ihm eine kleine Pforte öffnete.
Maluk schob ihn hinein, und Mythor sah im Schein der Öllichter einen Gang. Dann schloss sich die Pforte, und völlige Finsternis umgab ihn. Er kam sich in diesem Augenblick hilflos und verloren vor. Er hätte nicht sagen können, ob er Ehrfurcht empfand, ob er lediglich voll banger Erwartung war oder einfach Angst vor der Wahrheit hatte.
Er begann zu schwitzen, er atmete süßliche Luft, die sich ihm auf die Atemwege legte und ihm den Kopf schwer machte.
Etwas berührte ihn – es musste Maluk sein – und zog ihn nach links. Mythor stieß gegen eine Wand und tastete sich an ihr entlang, als Maluk ihn weiterschob. Nach einigen Schritten griff seine suchende Hand ins Leere, seine Füße stießen gegen eine Stufe, und er stieg hinauf, als Maluk ihn drängte.
»Ich muss dich jetzt dir selbst überlassen«, flüsterte der Orakeldiener hinter ihm. »Du wirst nun über deine Beweggründe befragt werden und musst Auskunft geben. Sage alles, verheimliche nichts und bleibe bei der Wahrheit. Dann wird man dir den Zutritt zum Orakel nicht verwehren dürfen.«
Gleich darauf entfernten sich leise Schritte, und Mythor wusste, dass er allein war. Er tastete um sich und stellte fest, dass er sich in einer Nische befand. Vor ihm befand sich in Kopfhöhe ein Geflecht aus Holzstäben. Durch dieses Gitter wehte der süßliche Duft, der Mythors Sinne benebelte und ihm den Atem raubte.
Nach einigen weiteren Atemzügen wusste er nicht mehr, wo oben und unten war, und hatte das seltsame Gefühl, kopfzustehen.
»Wer bist du?« fragte da eine leise Stimme durch das Holzgeflecht.
»Ich werde Mythor genannt«, sagte Mythor mit belegter Stimme.
»Und bist du das auch?«
»Man gab mir diesen Namen nach dem sagenhaften Helden des Lichts, der einst die Dunkelheit besiegt haben soll. So glauben wenigstens die Marn, die mich gefunden und großgezogen haben.«
»Ein bedeutungsschwerer Name. Fühlst du dich ihm verpflichtet?«
»Ich bin bestrebt, die Werte des Lichtes hochzuhalten. Aber sollte das nicht jeder tun?«
»Ich bin nicht das Orakel«, sagte die Stimme zurechtweisend. »Aber wäre ich es, würdest du mir dann diese Frage stellen?«
»Nein, mich bewegen andere Dinge.«
»Welche?«
»Als die Marn mich fanden, war ich fünf Sommer alt, meine Herkunft liegt im Dunkeln. Ich möchte wissen, wer ich bin.«
»In vielen mit einem ähnlichen Schicksal nagt diese
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