Mythor - 042 - Schattenjagd
eine bessere Welt zu kämpfen, dann darf ich dieses Unrecht nicht zulassen.«
Er sah auf einem Trog eine Schöpfkelle liegen, daneben war ein Tuch ausgebreitet, mit dem die Vogelreiter das Gefieder ihrer Orhaken abrieben.
Ohne lange zu überlegen, sprang Mythor auf und nahm beides an sich. Er füllte die Kelle mit Wasser und machte sich damit auf den Weg zu dem Schandpfahl.
»Mythor, bist du von Sinnen?« rief ihm Sadagar nach. »Kleiner Nadomir, gib diesem Einfaltspinsel seinen Verstand zurück, bevor er ins Unglück rennen kann.«
Mythor hörte nicht auf ihn. Als Harmod auf seiner Seite auftauchte, um ihn gewaltsam an seinem Tun zu hindern, stellte ihm Mythor einfach ein Bein und eilte weiter. Niemand sonst schien zu bemerken, was er vorhatte, und so erreichte er ungehindert den Platz mit dem Pfahl.
Er ging zu dem angeketteten Jüngling und kniete vor ihm nieder. Mythor sah erst aus der Nähe, dass seine linke Gesichtshälfte von Brandblasen bedeckt war, die Augen so verquollen, dass sie ganz schmale Schlitze bildeten.
»Ich bringe dir etwas zu trinken«, sagte Mythor und setzte die Kelle an die geschwollenen Lippen des Gefangenen. Mit der freien Hand breitete er das feuchte Tuch über seine obere Gesichtshälfte. »Das wird deine Schmerzen etwas lindern.«
Der Gefangene bewegte die Lippen und versuchte zu trinken, aber er war so schwach, dass er das meiste Wasser verschüttete. Als der Schöpfer leer war, murmelte er irgend etwas Unverständliches, was Mythor nicht verstehen konnte.
»Ich hole mehr Wasser«, sagte Mythor und wollte sich erheben.
Aber da traf ihn ein furchtbarer Schlag ins Genick, der ihn zu Boden fällte. Er war davon ganz benommen, zu keiner Bewegung fähig. Als er auf den Rücken gedreht wurde, tauchte über ihm das Oval eines Gesichts auf, das er undeutlich als das Ganifs erkannte.
»Wenn du dich so stark zu diesem Wilden hingezogen fühlst, dann wirst du ihm Gesellschaft leisten«, sagte er zu Mythor. Dann erhob er sich und befahl: »Schlagt einen zweiten Pfahl ein und kettet den Verräter daran!«
Der Gefangene begann auf einmal wie von Sinnen zu schreien und verstummte erst, als man ihn knebelte.
*
Deddeth
Da war nun der Körper, dem er so lange bereits nachjagte, greifbar nahe für ihn. Er brauchte nur mit Ganifs Augen aus dem Zelt zu blicken und sah ihn vor sich.
Aber er konnte ihn sich nicht nehmen. Mehr noch, er musste diesen Körper sogar schinden. Die widrigen Umstände verlangten es, dass er als Kommandant des Heerlagers die Verfehlung Mythors ahnden musste. Ganif hätte seine Würde verloren, wäre er nicht darangegangen, Mythor zu bestrafen.
Und so ließ er einen Pfahl errichten, Mythor Ketten anlegen und ihn daran festbinden. Um die Strafe abzurunden, wären auch noch einige Dutzend Peitschenhiebe angebracht gewesen. Aber davon ließ der Deddeth Ganif Abstand nehmen.
Der Deddeth konnte diesen Anblick nicht mehr länger ertragen, er zerfleischte sich förmlich und hätte dabei beinahe auch seinen Wirtskörper aufgezehrt.
Entsetzt erkannte er, wie Ganif auf einmal wankte. Sein Wirt rang nach Atem, versuchte sich abzustützen, riss einen Hocker mit sich und fiel zu Boden.
Sofort eilte die Wache herbei, die vor dem Zelt Posten stand und die beiden Gefangenen beaufsichtigte.
Schick ihn fort! befahl der Deddeth. Für das, was in dieser Nacht geschehen soll, kann ich keine Zeugen brauchen.
Statt die Hilfsdienste des Wachtpostens zu lohnen, wies Ganif ihn unter Strafandrohung aus dem Zelt und enthob ihn seiner Dienste.
Ganif atmete noch immer schwer, seine Glieder zitterten, aber er erholte sich allmählich wieder. Der Deddeth nahm sich vor, sich nicht wieder so gehenzulassen, ehe er den Körper wechselte – ehe er seinen Körper übernehmen konnte.
Heute nacht, wenn alles im Lager schlief, sollte es geschehen. Ganif würde auf den Vorplatz schleichen, Mythor von den Ketten befreien und dann…
Eine Störung.
Fanhaj und Madahim wünschten ihn zu sprechen. Der Deddeth zog sich tiefer in den Geist seines Wirtes zurück.
»Wir haben vernommen, dass du einen Schwächeanfall hattest, Ganif«, sagte Madahim. »Der Wachtposten hat uns berichtet, dass du dich in einem überaus besorgniserregenden Zustand befunden hast. Darum sind wir sofort herbeigeeilt, um…«
»Ich werde den Mann auspeitschen lassen«, sagte Ganif wütend. »Ich habe mich noch nie besser gefühlt. Morgen früh, wenn die Sonne von der Schattenzone freigegeben wird, brechen wir auf. Und zwar unter
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